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13. Juli 2023, 06:00 Uhr

Die Ems bekommt eine neue Polderfläche

Der Mensch hat es zerstört, jetzt bringt der Mensch es wieder in Ordnung - zumindest im Ansatz

Lesedauer: ca. 3min 17sec
Die Ems bekommt eine neue Polderfläche

In Gummistiefeln steht Claus Hinz an einem neu angelegten, teils schon mit Röhricht bewachsenen Ufer einer Wasserfläche und blickt über das Gelände. Bagger und Muldenkipper fahren in der Ferne. Auf dem Wasser macht der Biologe Neuankömmlinge aus: Säbelschnäbler. Das Vorkommen der Watvögel mit dem markanten, leicht nach oben gebogenen Schnabel ist eines der ersten Anzeichen dafür, dass sich hier hinter dem Emsdeich in der Gemeinde Westoverledingen nahe bei Leer gerade die Natur verändert. „Die brauchen diese Wasserflächen als Lebensraum“, erklärt Hinz.

Leben im Emsbogen

Die Wasserläufe, die er meint, sind erst vor Kurzem mithilfe von Baggern entstanden und Teil des sogenannten Tidepolders Coldemüntje, an dem gerade gebaut wird. Die Fläche hinter dem Emsdeich liegt an einem ehemaligen Emsbogen. Der Altarm verlandete. Nun soll dort wieder ein „ästuartypischer Lebensraum“ entstehen, wie Hinz Kollege Thorsten Kuchta erklärt. Er ist Sprecher der Geschäftsstelle Masterplan Ems 2050 beim Amt für regionale Landesentwicklung Weser-Ems in Oldenburg.

Als Ästuare werden die Mündungsbereiche großer Flüsse in das Meer bezeichnet. Sie sind von den Gezeiten Ebbe und Flut beeinflusst. Salz- und Süßwasser mischen sich dort und bieten Arten einen speziellen Lebensraum – wie etwa den Säbelschnäblern.

„Wir schaffen hier etwas, was es mal gab, aber wegen der menschlichen Überformung an der Ems, Weser oder Elbe kaum noch gibt“, sagt Kuchta mit Blick auf den Tidepolder. Dieser wird über ein Bauwerk unter dem Deich an die Ems angeschlossen. Teile der Polderflächen sollen dann im Takt der Gezeiten überflutet werden und wieder trockenfallen. Auf diese Weise sollen Flachwasserzonen, Wattflächen und Tideauwälder entstehen – so wie es sie früher viel häufiger an der Ems gab.

Denn früher hatte die Ems an ihrem Unterlauf viele Kurven, Seiten- und Altarme, die typisch sind für ein Flussästuar. Indem der Fluss ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts eingedeicht, begradigt und immer mehr vertieft wurde, verschwanden allerdings diese Lebensräume.

Zudem hat die Ems dadurch vor allem im Sommerhalbjahr ein massives Schlickproblem. Die Flut spült mehr Sedimente in den tieferen Fluss als der Ebbstrom wieder abtransportieren kann. „Die Ems befindet sich ökologisch in einem sehr schlechten Zustand“, sagt Beatrice Claus vom Naturschutzverband WWF, die das Geschehen am Fluss schon lange beobachtet.

Die Naturschützerin freut sich über den neuen Lebensraum, der mit dem 36 Hektar großen Tidepolder geschaffen wird – das entspricht einer Fläche von etwa 50 Fußballfeldern.

Ökologisch angeschlagen

Denn die Bauarbeiten am Tidepolder sind auch eine der ersten sichtbaren Maßnahmen des Masterplanes Ems 2050, der vor rund acht Jahren initiiert wurde, um einen jahrzehntelangen Konflikt zu lösen: Er soll den ökologisch angeschlagenen Zustand der Ems verbessern, zugleich aber auch die maritime Wirtschaft in der Region sichern.

Denn wegen des schlechten Erhaltungszustandes der Ems drohten ein Vertragsverletzungsverfahren der EU und damit Strafzahlungen. Um das Verfahren abzuwenden, verständigten sich Anrainer, Bund, Land sowie Naturschutzverbände 2015 auf eine Selbstverpflichtung – den Masterplan. Die Kommission akzeptierte diesen Weg, verbunden mit der Auflage, jedes halbe Jahr über die Fortschritte informiert zu werden.

Ein Ziel der Vereinbarung lautet, die verschwundenen Lebensräume wie Flachwasserzonen oder Auwälder wiederherzustellen. Bis 2050 sollen insgesamt 500 Hektar ästuartypischer Lebensraum entstehen. Die Suche nach passenden Flächen ist wegen verschiedener Flächenkonflikte mühsam. Neben dem Tidepolder in Coldemüntje sind Polder bei Leer und in Stapelmoor bei Weener in Planung. Rund 300 Hektar fehlen noch.

Zulauf unterm Deich

Während die Wasserläufe und Wattflächen am Tidepolder Coldemüntje schon zu erkennen sind, laufen am Emsdeich gerade die Vorarbeiten für das Herzstück des Polders – die Anbindung an die Ems. Damit Emswasser mit den Gezeiten in den Polder ein- und ausströmen kann, wird ein Einlassbauwerk aus Beton und Stahl unter dem Emsdeich gebaut. Wasserbauer treiben Spundwände in die Erde, um die Baustelle und den Deich an der Ems abzusichern. Dazu wurde der Deich geöffnet. Bald sollen dort zwei rund 35 Meter lange Betonkanäle verlegt werden.

Die Wasserqualität in der Ems wird der neue rund 13 Millionen Euro teure Polder dagegen wohl kaum verbessern – da sind sich alle Beteiligten einig. Das sei aber auch nicht die Aufgabe des Polders, argumentieren die Planer. Um das Schlickproblem der Ems zu lösen, soll die sogenannte Tidesteuerung mithilfe des Emssperrwerkes in Gandersum umgesetzt werden – einer weiteren Maßnahme des Masterplanes. Ein Testlauf hat bereits positive Effekte für die Wasserqualität gezeigt – ein Genehmigungsverfahren für einen dauerhaften Betrieb steht aber noch aus.

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