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2. August 2023, 14:42 Uhr

Ein Schatz für Ostfriesland

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Der erfolgreiche Heinrich Schumacher ist im Alter von 97 Jahren verstorben. Foto: Holger Bösenberg

Der erfolgreiche Heinrich Schumacher ist im Alter von 97 Jahren verstorben. Foto: Holger Bösenberg © Holger Boesenberg

Er war nicht nur langjähriger Chef der Katasterämter in Aurich und Norden. Heinrich Schumacher hat sich auch als Regionalforscher und durch sein gesellschaftliches sowie kirchliches Engagement hervorgetan. Im Juni verstarb der Geodät und Geograf im Alter von 97 Jahren. In Erinnerung bleiben wird er den meisten wohl vor allem als „leidenschaftlicher Ostfriese“, wie es der Leiter der Ostfriesischen Landschaftsbibliothek, Dr. Paul Weßels, in einem Nachruf treffend auf den Punkt bringt.

Sein Werdegang

Heinrich Schumacher wurde am 19. Januar 1926 in Emden geboren. Er wuchs in einem katholischen Elternhaus auf, was im überwiegend protestantisch geprägten Ostfriesland durchaus eine Besonderheit darstellte. Seine schulische Laufbahn wurde durch den Krieg jäh unterbrochen. Zeitweilig musste er nach Aurich und im Rahmen der erweiterten Kinderlandverschickung nach Bad Wildungen ausweichen. Zurück in Emden wurde der junge Heinrich im März 1943 mit nur 17 Jahren als Marinehelfer an die Flakbatterie abkommandiert. Nach dem Besuch der Marinekriegsschule Flensburg verbrachte er die letzten Kriegsmonate auf einem Zerstörer, der im Skagerrak als Minenleger unterwegs war. Das Schiff wurde dann in Kiel den Engländern übergeben. Heinrich Schumacher kam in Gefangenschaft, war aber Mitte Juni 1945 schon wieder frei.

Erneut kehrte er heim nach Emden, wo er diverse Praktika absolvierte und per „Übergangskurs“ sein Abitur erlangte. Anschließend schrieb er sich an der Technischen Hochschule in Hannover für Geodäsie ein und führte während seines Studiums 1949 im Auftrag der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Vermessung der Vogelschutzinsel Memmert durch. Weil 1951 vorerst keine Referendare eingestellt wurden, arbeitete Heinrich Schumacher vorübergehend für das Wasser- und Schifffahrtsamt Emden und die Forschungsstelle Norderney, bevor er 1953 sein Referendariat antreten konnte, das er 1956 erfolgreich mit der Großen Staatsprüfung abschloss. Danach war er an den Katasterämtern in Westerstede, Wildeshausen, Brake und Meppen im Einsatz, sowie zuletzt als Regierungs- und Vermessungsrat in Stade, bis er 1964 das Angebot erhielt, im Herbst des Jahres die Leitung des Katasteramts in Aurich zu übernehmen. Zehn Jahre später kam das Amt in Norden hinzu. Von 1968 bis 1991 war Heinrich Schumacher auch Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte für den Bereich des Landkreises Aurich. In dieser Funktion führte er als Erster in der Bundesrepublik Deutschland Richtwerte für landwirtschaftliche Grundstücke ein.

Bekannte Werke

Ein bis heute nach außen hin sichtbares Ergebnis seiner Arbeit ist der regional wie überregional bekannte „Ostfriesland-Äquator“, der eine Idee von Heinrich Schumacher war. Ein anderes von ihm initiiertes geodätisches Denkmal ist der Grenzmeridian, der die theoretische Scheidelinie zwischen Westeuropäischer und Mitteleuropäischer Zeit definiert und 1973 beim Auricher Krankenhaus entsprechend gekennzeichnet wurde. Gleiches gilt für den tiefsten Punkt Deutschlands, den Heinrich Schumacher 1982 in Freepsum bestimmt hat und der im darauffolgenden Jahr Eingang ins „Guinness-Buch der Rekorde“ fand.

Bereits 1967 begann der passionierte Wissenschaftler unterstützt von dem Heimatforscher Bernhard Uphoff mit dem Aufbau einer Flurnamensammlung für den Altkreis Aurich. Die Ostfriesische Landschaft übernahm 1972 das Konzept der beiden für die gesamte Region. Vergleichbare Projekte waren in den vorangegangenen Jahrzehnten immer wieder gescheitert. Ab 1975 leitete Heinrich Schumacher bei der Landschaft ehrenamtlich eine Arbeitsgruppe, die bis 1984 knapp 72000 Flurnamen in ganz Ostfriesland dokumentiert hatte. Noch im selben Jahr verlieh die Ostfriesische Landschaft Heinrich Schumacher daraufhin für seine besonderen Verdienste die Ubbo-Emmius-Medaille. Selbst nachdem er 1991 in den Ruhestand gegangen war, blieb er seinem Steckenpferd weiterhin treu und half bei der Erarbeitung eines EDV-Konzeptes zur Digitalisierung der Flurnamen-Daten. Dieses bildete die Basis für eine Webseite, auf der inzwischen sämtliche ostfriesischen Flurnamen frei zugänglich und kostenlos abrufbar sind.

Seine Interessen

Außerdem beschäftigte sich Heinrich Schumacher mit der Geschichte von historischen ostfriesischen Karten. Zwischen 1991 und 2010 schrieb er – zunächst gemeinsam mit Dr. Reiner Sonntag – Aufsätze über bedeutende Kartographen-Koryphäen wie Jodocus Hondius, Joan Blaeu, Johannes Janssonius oder Ubbo Emmius. 2004 arbeitete er mit an der Herausgabe eines Faksimiles der Großen Campschen Karte von 1804 in Berlin durch die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen.

Sein katholisches Elternhaus bezeichnete Heinrich Schumacher in einem seiner Lebensläufe als „gläubig“ und „weltoffen“. Dass er mit seiner Gattin Engeline Wäcken, die er 1954 geheiratet hatte, eine Reformierte in die Familie holte, war daher kein Problem. Im Gegenteil, das Ehepaar lebte die Ökumene und engagierte sich in unterschiedlichsten ökumenischen Kreisen in Ostfriesland und darüber hinaus.

Eigene Erfolge

Einen eindrucksvollen Beleg seiner geistigen Fitness bis ins hohe Alter lieferte er 2014 während der Emder -Rechenmeisterschaft, als er den Wert der Kreiszahl Pi bis zur 45. Stelle nach dem Komma auswendig aufsagen konnte. Im nachfolgenden Wettbewerb gelang ihm der Alters-Weltrekord von 106 Nachkommastellen, den er 2017 auf 114 und 2020 als inzwischen immerhin 94-Jähriger auf 130 hochschraubte. Auf der offiziellen Ewigen-Besten-Liste rangiert er damit in Deutschland übrigens unabhängig von Alter nach wie vor auf Platz 53. „Mit Heinrich Schumacher hat Ostfriesland einen ungewöhnlichen Menschen verloren, voller Energie, Durchsetzungsvermögen und Ausdauer, mit hoher fachlicher Qualifikation und der Fähigkeit, auch andere für seine Projekte zu begeistern“, resümiert Dr. Paul Weßels in seinem Nachruf. „Als seine größte Leistung für die Nachwelt wird man sicherlich die Flurnamensammlung ansehen müssen, mit der er Ostfriesland einen ungeheuren kulturhistorischen Schatz überlassen hat.“

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