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10. Mai 2023, 10:56 Uhr

Es hat Minuten gedauert, bis die Frau tot war

Angeblich habe er erst nach der Tat gesehen, dass seine Frau tot war. Das erzählt der Angeklagte beim Mordprozess in Aurich. Doch das Gericht meldet Zweifel an.

Lesedauer: ca. 2min 58sec
Der Angeklagte legte ein Geständnis ab. Doch das Gericht meldet Zweifel an, ob sich die Tat wirklich so abgespielt hat, wie er schilderte.

Der Angeklagte legte ein Geständnis ab. Doch das Gericht meldet Zweifel an, ob sich die Tat wirklich so abgespielt hat, wie er schilderte. © Martina Ricken

Aurich Mit dem Geständnis, seine Lebensgefährtin in der Nacht zum 19. September vergangenen Jahres in der gemeinsamen Wohnung an der Popenser Straße in Aurich erwürgt zu haben, entgeht der 27-jährige Angeklagte möglicherweise einer Verurteilung wegen Mordes. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich erteilte am fünften Verhandlungstag den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Totschlags infrage kommen könnte. Allerdings ist fraglich, ob sich alles so abgespielt hat, wie der Angeklagte es darstellte.

Seine Frau war angeblich aggressiv

Er gab an, dass seine Frau ihn in jener Nacht aggressiv empfangen, beleidigt und sogar körperlich angegriffen habe. Er könne sich nur noch schemenhaft daran erinnern, dass es zu einer Schubserei gekommen sei und er seine Hände um ihren Hals gelegt hatte. Seine Frau habe sich nicht sehr gewehrt und sei schließlich bewusstlos zu Boden gesunken. Er sei ins Bad gegangen, habe sich Hände und Gesicht gewaschen. Erst als er ins Schlafzimmer zurückgekehrt sei, sei ihm bewusst geworden, was er getan habe. Auch habe er erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt, dass sich unter dem Kopf seiner Frau eine große Blutlache gebildet hatte. „Ich war geschockt“, wiederholte der Angeklagte.

„Todeskampf und Todesangst“

„Das Verletzungsbild entspricht nicht so ganz der Tatschilderung des Angeklagten“, widersprach Rechtsmediziner Benedikt Vennemann. „Es muss ein dynamisches Geschehen mit einer Vielzahl von Angriffen gegen Gesicht und Hals gewesen sein. Es spricht mehr für einen Todeskampf und Todesangst.“

Für die Blutlache sei eine Platzwunde an der Stirn verantwortlich gewesen. „Die Frau muss gegen etwas heftig geschlagen oder gestoßen oder aufgeschlagen sein“, so Vennemann. Eine Anstoßstelle an den Möbeln habe es nicht gegeben. Naheliegend sei ein kräftiger Sturz oder Stoß auf den Boden.

Minutenlanges Würgen

Diese Verletzung habe aber nichts mit dem Tod der jungen Frau zu tun. Sie sei erwürgt worden, lautete die eindeutige Feststellung des Rechtsmediziners. Möglicherweise sei die Frau dabei liegend fixiert worden. Dafür sprächen Hämatome an den Armen. Verletzungen im Gesicht deuteten nach Ansicht des Gutachters darauf hin, dass dem Opfer auch der Mund zugehalten wurde. Um den Tod herbeizuführen müsse der Würgevorgang über Minuten durchgeführt worden sein, sagte Benedikt Vennemann.

Kann man im Schockzustand Spuren legen?

Zweifel an der Aussage gibt es auch in zwei anderen Punkten. Die Behauptung, er sei nach der Tat geschockt gewesen, passen nicht zu dem, was der Angeklagte anschließend tat. Er legte Spuren, die einen Raubüberfall vortäuschen sollten. Und er tätigte Anrufe und schickte Nachrichten adressiert an das Handy seiner Frau. Der Inhalt sollte vortäuschen, dass er vor der Wohnung sei und wegen eines vergessenen Schlüssels nicht hineinkäme. Doch die akribischen Ermittlungen der Polizei förderten zutage, dass sich der Angeklagte zu dieser Zeit bereits in der Wohnung befand und das Opfer vermutlich bereits tot war.

Das Handy hilft bei der Ermittlung

Überführt wurde der Angeklagte durch Standortdaten seines Handys und vor allem durch eine App, die auf seinem Telefon gespeichert war. Sie zeichnete nicht nur den Zeitpunkt und die Anzahl seiner Schritte auf, sondern auch die Höhenunterschiede, die er überwand, erläuterte der Ermittlungsführer des Auricher Polizei. Laut der Auswertungen war der Angeklagte am 19. September um 0.28 Uhr die beiden Stockwerke zu seiner Wohnung hochgegangen. Die Anrufversuche erfolgten um 0.51 Uhr. Gegen 2.15 Uhr verließ er die Wohnung.

Kein Gint-Tonic von der Tankstelle

Zweifel gibt es auch an den Angaben, die der Angeklagte zu seinem Alkoholkonsum an Tag und Abend vor der Tat machte. Er hatte unter anderem behauptet, in der Nacht vor der Tat an einer Tankstelle in Aurich mehrere Dosen Gin-Tonic gekauft zu haben. Nachermittlungen der Polizei ergaben, dass ein solcher Kauf nicht stattgefunden hat. Der Angeklagte gab zudem gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen zusätzlichen Alkoholkonsum an, von dem zuvor keine Rede war.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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