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15. Mai 2023, 06:30 Uhr

Gasbohrungen: „Landesregierung muss nach wissenschaftlichen Fakten bewerten“

Die CDU-Bundestagsabgeordnete plädiert im KURIER-Interview für Fachkräfte-Zuzug, um die Personalnot auch auf den Inseln zu vermindern. Zur Gasförderungen vor den Insel hat sie eine klare Meinung.

Lesedauer: ca. 3min 34sec
Gasbohrungen: „Landesregierung muss nach wissenschaftlichen Fakten bewerten“

Norderney Ihr Wort zählt in der großen Politik etwas. Die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann aus Leer gilt als Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Die gebürtige Leeranerin stand der Badezeitung jetzt für ein Exklusivinterview zur Verfügung.

Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe haben die geplanten Gasbohrungen vor Borkum durch Rechtsgutachten und Gerichtsbeschluss vorerst einmal auf Eis legen lassen. Wie beurteilen Sie die Situation aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Perspektive?

Die Energiesicherheit ist gefährdet. Deutschland bezieht deshalb Gas aus der ganzen Welt. Aus Ländern im Mittleren Osten, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wie Qatar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Oder Fracking Gas aus den USA, das dort zu Umweltschäden führt. Die eigenen Reserven sollen dagegen nicht angetastet werden. Das ist nicht nur wirtschaftlichen unvernünftig sondern moralisch zweifelhaft. Es gibt ein Argument, das dagegen zählen würde: Umweltinteressen. Immerhin ist das Bau- oder eher Bohrvorhaben in unserem Weltnaturerbe geplant. Dies ist auch ein Tourismusmagnet. Auch dies ist eine Wirtschaftskraft. Und sie ist vergänglich. Es geht also auch um eine Abwägung. Das Land Niedersachsen wird entscheiden, wie es weitergehen wird. Hier sind nun die Regierungsparteien gefragt. Entscheidend dabei dürfen aber nur Wissenschaft und Fakten sein.

Auf Norderney wird alljährlich eine Menge Geld in die Hand genommen, um die Schäden der Winter- und Herbststürme zu kaschieren. Die Sandabgänge zeigen gerade im Bereich des beliebten Strandes an der Weißen Düne immer mehr offensichtliche Einschnitte in Natur und Landschaft. Gibt es aus ihrer Sicht Alternativen zur jährlichen Aufspülung mit Sand?

Welche finanziell und gleichzeitig ökologisch vertretbare Alternative gäbe es? Ich sehe diese im Moment nicht. Die Aufspülungen sind zwingend notwendig, um den Strand der Insel zu erhalten - zusammen mit Dünenverstärkungen und Sandfangmaßnahmen. Mit diesem Bauen mit der Natur wird die Küste geschützt. Natürlich ist der Strand auch ein Touristenmagnet. Aber an erster Stelle geht es darum, die Insel selbst zu sichern. Es geht also um den Schutz der Menschen, die auf Norderney leben. Mit diesem Problem steht Norderney übrigens nicht allein da. Durch die höheren Wasserstände und den Wellengang bei Sturmfluten kommt es auf allen Inseln an den Schutzdünen zu Erosionen.

Arbeitskräftemangel ist auch auf den Ostfriesischen Inseln ein Dauerthema. Es fällt den Gewerbetreibenden immer schwerer passendes Personal zu finden. Selbst finanzielle Anreize bringen da nur teilweise Erfolg. Was muss passieren um hier schnell und perspektivisch Abhilfe zu schaffen?

Es gibt in unserem Land immer noch Gruppen an Menschen, die stärker aktiviert werden können und müssen: Ältere, Frauen, Menschen mit Behinderungen. In diesen Gruppen ist die Erwerbstätigenquote noch ausbaufähig. Und wir brauchen den Zuzug von Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausland. Es gibt viele Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen. Aber ein Nadelöhr sind die Konsulate und Botschaften. Antragsteller müssen oft Monate, manchmal sogar mehr als ein Jahr auf einen Termin warten. Bis dahin sind arbeitswillige und qualifizierte Menschen bereits längst auf andere Länder ausgewichen. Dieses zentrale Problem wurde in den letzten Jahrzehnten nicht angegangen, egal welche Partei (FDP/SPD/Grüne) den Außenminister stellte. Hier ist das Auswärtige Amt in der Verantwortung.

Wohnraum ist auf den Inseln knapp, vor allem bezahlbarer Wohnraum für Insulaner. Ferienwohnungen dominieren mittlerweile das Angebot. Was müssen, Bund, Land und auch die Kommunen unternehmen, um hier nicht in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft abzudriften?

Ohne Frage: Diese Spaltung droht. Es gibt diejenigen, die es bezahlen können, und diejenigen, die gezwungen werden aufs Festland überzusiedeln, weil sie dem Preisdruck nicht mehr gewachsen sind. Gerade für Menschen im Alter sind die Mieten auf den Inseln nur noch schwer zu stemmen. Doch niemand sollte seine Heimat deshalb verlassen müssen.

Der Bund hat in der Vergangenheit gehandelt. Zwar gab es immer Wohngeld als Mietzuschuss oder Lastenzuschuss. Aber lange wurde zwischen Inseln und Festland kein Unterschied gemacht. So wurden die Ostfriesischen Inseln den niedrigen Mietstufen ihrer jeweiligen Landkreise zugeordnet. Das Mietniveau ist jedoch deutlich höher als auf dem Festland. Mit der Reform des Wohngeldgesetzes 2019 öffnete sich eine Tür. Im Rahmen der Anpassung der Wohngeldstufen habe ich mich für ein neues Berechnungsmodell eingesetzt. Der Vorschlag hat seinerzeit Eingang in die Neufassung des Wohngeldstärkungsgesetzes gefunden.

Die ost- und nordfriesischen Inseln sowie Hiddensee haben damit eine eigene gemeinsame Mietenstufenzuordnung erhalten. Damit sind sie nicht mehr an die niedrigen Mietniveaus in den Festlandteilen ihrer Landkreise gebunden. Weitere Maßnahmen wie Umnutzungsverbote bei vorhandenem Wohnraum, oder gebundene Neubauten liegen in der Verantwortung der Kommunen vor Ort. Grundsätzlich müssen die Insulaner aber auch selbst die Weichen für die Zukunft stellen.

Zur Person

Gitta Connemann ist seit 2002 für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Unterems. Die Rechtsanwältin aus Leer ist seit 2021 Bundesvorsitzende der Mittelstand- und Wirtschaftsunion. Im Jahre 2016 erhielt Connemann das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihre besonderen Verdienste um das Gemeinwohl, das ihr von Bundestagspräsident Norbert Lammert überreicht wurde.

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