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18. August 2023, 08:00 Uhr

Insel-Fischerei anno dazumal

Einst war Norderney ein bedeutender Lieferant von Frischfisch an der Ostfriesischen Küste

Lesedauer: ca. 3min 24sec
Insel-Fischerei anno dazumal

Norderney Wer heute auf Norderney ein Stück frischen Fisch genießen will, muss bis zum Wochenmarkt warten, denn dann kommt ein Händler vom Festland. Es ist schon ein wenig verwunderlich, dass man tagtäglich vom Meer umgeben ist, der Seelachs aber auf die Insel geliefert wird. Aber das ist auf fast allen Nordseeinseln der Fall. Dabei gingen die Norderneyer über Jahrhunderte dem Fischfang nach. Anfangs für den Eigenbedarf, ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde in in großen Mengen an da Festland verkauft, da die Fangüberschüsse immens waren. Gefangen wurden zumeist Schellfische und Schollen.

Wenn man ein wenig im Stadtarchiv stöbert, muss man feststellen, dass sich die Zahl der Inseleinwohner in einhundert Jahren zum 1748 mehr als verdoppelt hat. Die Fischerei konnte die vielen Arbeitskräfte nicht binden, da wegen schlechter Transportwege und der starken Konkurrenz eine Ausweitung der Fischerei nicht vorteilhaft war. Mit dem Aufschwung der ostfriesischen Handelsschifffahrt zog es dagegen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr Insulaner in den Kauffahrteihandel, wodurch der Fischfang an Bedeutung verlor. Von vormals 30 Fischerbooten blieben am Ende des 18. Jahrhunderts nur noch neun übrig, dagegen hatte die Zahl der Frachtschiffe auf 30 bis 40 zugenommen.

In den Folgejahren – Ostfriesland mit Norderney gehörten jetzt zum Königreich Hannover – nahm nur ein Teil der früheren Kauffahrteifahrer das alte Gewerbe wieder auf. Dadurch wurden für die Fischerei neue Kräfte frei. Die Landesregierung förderte durch ein Prämiensystem die Fischerei, welches dadurch einen Aufschwung erlebte. 1825 gab es bereits wieder 20 Fischerboote auf der Insel, 1840 dann 36, und 1868 wurde mit 76 Schaluppen der Höhepunkt der Fischerei erreicht. Noch bis zu Beginn der 1890er Jahre hielt sich die Flotte auf rund 50 Fahrzeuge.

Eine Besonderheit war der von einigen Norderneyer Fischern betriebene Störfang in der Weser. Gefangen wurde im Frühjahr, wenn der Schellfischfang sich nicht mehr lohnte. Die Berechtigung hatten sie von König Georg V. von Hannover erhalten, wobei sie die auf zehn Jahre befristete Pacht alljährlich, wenn der König seine Residenz im Großen Logierhaus bezogen hatte, persönlich entrichten mussten.

Nur der Schellfischfang lieferte über viele Jahre ausreichend Erträge, um die Existenz der Fischerfamilien zu sichern. Obwohl der Schellfischfang nahezu von Fischern aller Inseln und Sielorte betrieben wurde, blieb Norderney bis zuletzt das Zentrum dieses Fischereizweiges.

Norderneyer Fischer brachten nach 1860, als die Fischerei ihren Höchststand erreichte, jährlich 1,5 bis 2,0 Millionen Schellfische auf den Markt. Die dabei erzielten Erlöse waren stark abhängig von den Fangergebnissen und vom Preis, den der Händler zahlte. Für das Jahr 1886 wird ein Erlös für die gesamte Fischereiflotte von 156000 Mark angegeben, was bedeutet, dass die Fischer nur etwa ein Drittel des Gesamtverkaufspreises (493000 Mark) erhielten. Den gleichen Betrag erhielt der Händler und 181000 Mark kostete der Transport nach Norddeich, die Ausgabe von Körben, Arbeitslohn für das Entladen, Reinigen, Verpacken der Fische, für Eis sowie die Bahnfracht. Rechnet man durchschnittlich 70 Fangreisen während der Fangzeit, einen Preis von 0,12 Mark pro Fisch und 400 Fische pro Ausfahrt, so ergibt dies Bruttoeinnahmen von 3360 Mark im Jahr, abzüglich der Ausgaben für Köderwürmer und Sonstiges einen Reinertrag pro Schaluppe von 2760 Mark. Davon erhielt der Schiffsführer die Hälfte und jeder der beiden Partsleute 690 Mark. Die Fischerei lieferte etwa die Hälfte des Jahreseinkommens für einen Norderneyer Fischer und Schiffsführer, weitere Einnahmen ergaben sich aus „Lustfahrten“ in See sowie aus der Vermietung von Fremdenzimmern. „Insgesamt ist die Einnahmesituation damit als günstig zu bezeichnen“, fasst Hermann Soeke Bakker in seinem Buch „Norderney – Vom Fischerdorf zum Nordseeheilbad“ die Finanzsituation durch den Fischfang zusammen.

Als Grund für den Niedergang der Norderneyer Angelfischerei findet sich oftmals der Hinweis, „dass vor allem der Fremdenverkehr die Fischer dem Seegewerbe entfremdet hätte“. Bakker (1980) kommt zu dem Schluss, dass dies „schlechthin der durch die Dampfkraft verursachten Raubfischerei zuzuschreiben ist“.

Mit dem Ende der Fischerei gingen auch die mit diesem Gewerbe verbundenen Traditionen verloren. Schon seit Jahrzehnten sind Fischerei und Seefahrt auf der Insel aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Das Fischerhausmuseum bewahrt noch zahlreiche Erinnerungen an die „Fischfangherrlichkeit“ und erlaubt Einblicke in die früheren Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Fischer und Seefahrer. Gedichte, Lieder und Balladen künden von ihrem Stolz, ihrem Mut, dem Fern- und Heimweh, aber auch von Tragödien und Tod auf dem Meer. Einige Grabsteine auf dem Friedhof weisen darauf hin, dass hier ein „Seefischer“ oder „Schiffer“ begraben wurde. Auch in den Gemälden des Norderneyer See- und Landschaftsmalers Poppe Folkerts findet man diese vergangene Welt.

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