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4. Juni 2023, 10:00 Uhr

Jung und doch längst etabliert

Der Verein des Hospizes am Meer begrüßt sein 450. Mitglied.

Lesedauer: ca. 3min 27sec
Jung und doch längst etabliert

Hage Gaby Gausmann hat am Anfang erst einmal abgewartet. Wie es denn wird, das Hospiz in Hage, ob es angenommen wird, ob es „läuft“, hat es sich angesehen beim Tag der offenen Tür und sich dann auch erinnert, wie gut sie schon im Ambulanten Hospizdienst betreut worden war, als das Thema Tod in ihre Familie kam. Dem Norder Verein ist sie längst beigetreten, jetzt wurde sie als 450. Mitglied im Hospiz am Meer offiziell willkommen geheißen.

Nach fünf Monaten ist dort längst deutlich geworden: Ja, „es läuft“. Anfragen gebe es täglich, Christina Bitiq als Hospizleiterin berichtet im Pressegespräch von 86 konkreten Fällen, in denen ein Zimmer gebraucht wird – und von Interessenten aus der ganzen Republik. „Wenn ich die alle mitzählen würde, es wären sicher locker 150 Anfragen.“ Schneller als erwartet wurde in Hage Bett um Bett belegt, kaum dass das Pflegepersonal seine Arbeit im Haus aufgenommen hatte.

Wie aber geht man damit um, als Pfleger, als Pflegerin, als Hauswirtschafts-, als Reinigungskraft, wenn sicher ist, Herr X in Zimmer eins, Frau Y in Zimmer acht wird im Sarg dieses Haus verlassen? Wenn man sich vorher über Tage, vielleicht auch über Wochen oder länger aneinander gewöhnt hat, Gespräche geführt, auch Vertrautes ausgetauscht hat? „Wir achten darauf, dass der Tod nicht alltäglich wird“, sagt Christina Bitiq und verweist auf die besondere Atmosphäre des Hauses. Dass man sehr aufeinander achte, Rücksicht nehme, dass ein sehr starkes Miteinander gelebt werde, jede und jeder schaue, dass es allen gut gehe bei und mit der Arbeit.

Ausdrücklich bezieht die Leiterin dabei auch die mittlerweile rund 50 registrierten Ehrenamtlichen mit ein. Die zum Beispiel täglich das Abendbrot herrichten, dabei jeden Gast individuell versorgen, egal, ob er Apfelmus oder sie Rührei möchte, die an einzelnen Tagen den Empfang besetzen, die sich um Öffentlichkeitsarbeit kümmern oder im Garten werkeln, einkaufen, bei Bedarf mit einzelnen Gästen sprechen, sie unterhalten, mit ihnen Ausflüge unternehmen, Trauernde begleiten, Gedenkveranstaltungen planen, Kuchen backen oder oder oder. Wer mag, ist zudem eingeladen, die Pfleger und Pflegerinnen einmal zu begleiten. Warum? Weil es auch hier um das Miteinander geht und um Verständnis für die Arbeit. Zu sehen, wie intim es werden kann, vielleicht muss, wenn es um Hygiene geht, ums tägliche Waschen und Frischmachen. Aber dass es immer und zuallererst darum geht, es dem Gast so bequem, so erträglich, so gut wie irgend möglich zu machen. Herr X ist Frühaufsteher, möchte um sechs geweckt werden? Kein Problem. FrauY schläft gern bis mittags, um dann zu frühstücken? Warum nicht? Und selbstverständlich bei entsprechender Temperatur auch auf der eigenen Terrasse. Vielleicht sogar im Strandkorb…? HerrZ hat morgens schon sehr früh Besuch – dann kommt die Pflegekraft natürlich später. Gäste sind Könige, Königinnen der etwas anderen Art, es zählt, was sie möchten. Jeden Tag, aber auch jede Nacht.

Nicht nur die Bevölkerung im Landkreis, auch Ärzte, Ärztinnen, Institutionen, all jene, die mit Kranken arbeiten, in Berührung kommen, egal auf welcher Ebene – rundum sei das Hospiz mittlerweile als fester verlässlicher Partner anerkannt und werde wertgeschätzt, erzählt Christina Bitiq. Wer hier aktiv ist, egal in welcher Funktion, werde „ein Freund auf Zeit“, beschreibt sie das Miteinander. Natürlich sei dabei jedem bewusst, wie bedeutsam und besonders die Arbeit ist – nicht nur, aber auch gerade deswegen werde sehr viel Wert auf einen würdigen Abschied gelegt. Mit Begleitung je nach individuellem Wunsch bis zum Schluss, behutsamer letzter Pflege, gern auch gemeinsam mit Angehörigen, Gestaltung des Zimmers – „so, wie es zu dem jeweiligen Menschen passt“, erklärt Bitiq. Würde – ein Wort, das man hier besonders ernst nimmt. Kein Gast verlässt am Ende das Haus, ohne im Erinnerungsbuch mit einer Seite noch einmal besonders bedacht worden zu sein.

Allein schon wegen der stetigen großen Nachfrage nach Plätzen soll das Pflegeteam noch weiter aufgestockt werden. „Wir suchen noch“, sagt Bitiq, im besten Fall besetze man zwei Halbtagsstellen. Die Leiterin erzählt dabei auch von Mitarbeitergesprächen, in denen man sich regelmäßig austausche – man begleitet sich hier gegenseitig. Auch die Ehrenamtlichen sind in Gruppen zusammen – es gibt Supervision, Gruppentreffen, Sprechstunden, Austausch auf allen Ebenen. Jede und jeder soll sich so aufgenommen fühlen und an der Stelle am großen Ganzen mitwirken können, wie es für sie/ihn passt. „Der Mensch geht vor“, betont Bitiq in diesem Zusammenhang. Das ist so etwas wie die Maxime des immer noch jungen, aber schon etablierten Hauses, das – wie es in diesem gesamten Bereich (leider) nötig ist, neben vielen helfenden Händen, zuhörenden, mitlachenden und mitweinenden Köpfen auch eines immer dringend braucht: Spenden.

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