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15. Mai 2023, 21:33 Uhr

Die Badesaison auf Norderney hat begonnen - doch Vorsicht beim Sprung ins eiskalte Wasser!

Ein Blick ins Archiv: Der „Seebezwinger“ Otto Kemmerich schwamm und schwamm und schwamm - bis er tot war.

Lesedauer: ca. 3min 19sec
Die Badesaison auf Norderney hat begonnen - doch Vorsicht beim Sprung ins eiskalte Wasser!

Norderney In Kürze startet auf Norderney wieder die Badesaison und die Urlauber an den Stränden stürzen sich in das hoffentlich nicht zu kühle Nass der Nordseefluten. Für die meisten gehört das bei einem Inselbesuch dazu, sei es aus Spaß oder als sportliche Betätigung. Ein Blick in die Regale des Norderney Stadtarchivs verrät, dass dies vor etwa 100 Jahren völlig anders war. Damals war die Nordsee ein zumeist exklusives Terrain adliger Heißsporne sowie bürgerlicher Kreise. Erst nach dem Ersten Weltkrieg begeisterte der Sport alle gesellschaftlichen Schichten. Die Motive waren unterschiedlich: Lust auf Bewegung, ein neues Verständnis von Körperlichkeit und auch der Wertewandel gegenüber der Wilhelminischen Epoche. Zeitungen, der Film und auch das Radio verbreiteten weitaus mehr Nachrichten über Sportereignisse und Leistungen. Immer mehr Menschen konnten es wahrnehmen. Gerade der Sport lieferte nun die Idole, deren Rekorde Anerkennung fanden, die auch für den Erfolg und das Vorwärtsstreben der Nation sinnstiftend wurden.

Zu den ,,Volkshelden“ der 1920er Jahre gehörte auch der Dauerschwimmer Otto Kemmerich. 1923 hatte er den Bodensee durchschwommen und 1924 das Streckenschwimmen zwischen Husum und Westerland/Sylt gewonnen. Auf Norderney kündeten im August 1924 Plakate seinen Versuch an, die Meeresbreite Juist–Norderney zu durchschwimmen. „Über kühne Fluten kam er daher gezogen“, berichtete die Norderneyer Badezeitung. ,,Eine ungeheure Menschenmenge erwartete am Weststrand die Ankunft des Meisterschwimmers mit Spannung und gegen 7.30 Uhr landete er, empfangen von großen Ovationen“, schrieb damals die NBZ.

Nur mit einer roten Flagge machte er sich im Wasser bemerkbar. Auf der Strecke Norddeich–Norderney sollten es statt der roten Flagge zehn große rote Kinderluftballons – in 20 Meter Hohe schwebend – sein, die seinen Standort markierten. Der Start erfolgte am 11. Juni 1925, nachmittags um 15 Uhr. ,,Mutterseelenallein zog er seine Bahn, um ihn herum der brausende Gesang des urewigen Meeres, gegrüßt von eilig vorüberziehenden Möwen im lichten Federkleid, betreut von der lachenden Junisonne“, schrieb der Buchdrucker, Redakteur und Heimatschriftsteller Jan Janssen.

Tausende Menschen hatten sich am Weststrand eingefunden. Gäste der Marienhöhe suchten mit Fern- und Opernglasern die weite Wasserfläche nach dem deutschen Recken“ Otto Kemmerich ab. Die rote Flagge wurde gesichtet (auf die Ballone hatte Kemmerich verzichtet). Er landete nach drei Stunden Schwimmzeit bei der Buhne vor dem Rettungsbootschuppen und wurde dort ,,von einem brausenden Hurra“ empfangen.

Kemmerich traute sich mehr zu. 1926 versuchten mehrere Schwimmer den 32 Kilometer breiten Ärmelkanal zwischen Cap Gris-Nez und Dover in Bestzeit zu durchschwimmen. Kemmerich musste neun Meilen vor der englischen Küste aufgeben, nachdem er von einem Delfin oder einem Hai attackiert worden war. Die Verletzung an der Hand führte zu bleibenden Schäden.

Am Sonnabend, den 5. Juli 1930 – Kemmerich ist wieder auf Bädertour– will er wiederum die Strecke von Juist nach Norderney schwimmen. Hatte es groß angekündigt in der Norderneyer Badezeitung. ,,Der Weltmeister hat sich absichtlich die denkbar schlechtesten Strömungsverhältnisse (Halbzeitstrom) gewählt und gibt sich selbst nur 50 Prozent Chancen. Erfahrene Seeleute halten eine Durchschwimmung des Halbzeitstroms für ausgeschlossen.“ Er besteht auch diese Herausforderung, um unmittelbar danach im ,,Roten Teppich“, einem Strandhotel mit Kabarett und Tanz-Saal, einen Vortrag zu halten. Als größte Sensation der Saison angekündigt, sitzt sein Maskottchen – eine abessinische Löwin, die als Wunder der Raubtierdressur bezeichnet wird – mit am Vortragstisch.

Im August 1952 –nun 66 Jahre alt – will er noch einmal zeigen, dass er nicht ,,zum alten Eisen“ gehört. Von Esbjerg/Dänemark startet er den Versuch, über eine Distanz von 200 Kilometern nach Husum zu schwimmen – von Insel zu Insel, mit Ruhezeiten dazwischen und weiter, wenn es die Tide und das Wetter erlauben. Vor ihm lag die 15 Kilometer breite Passage zwischen Hörnum/Sylt und Amrum. Dreimal hatte ihn die hohe Dünung an den Strand zurückgeworfen, beim vierten Mal riss die Verbindungsleine zum Schwimmsack, worauf er umkehren musste. Ein böses Omen. Trotz der widrigen Verhältnisse wagt er einen neuen Versuch. Auf Amrum wartete man nachmittags vergeblich auf Otto Kemmerich. Eine Suche wurde eingeleitet, doch der Dauerschwimmer und Weltmeister wurde nicht gesichtet.

Am Montagmorgen, 18. August, eine Woche nachdem er bei Hörnum ins Wasser gestiegen war, wurde seine Leiche geborgen. ,,Er trug noch seine Schwimmflossen und hatte Uhr und Kompass bei sich“. Auch die Norderneyer Badezeitung meldete seinen Tod in einem großen Artikel. ,,Offensichtlich unterschätzte der energiegeladene und körperlich kräftige 66-jährige Otto Kemmerich die mörderische Macht der Nordsee, die ihn nun ruhmlos verschlang“.

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