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18. August 2023, 07:00 Uhr
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Sorgenfreie Saison wäre ein großer Erfolg

SV Werder Bremen startet heute gegen die Bayern – Klassenerhalt sicher in trockene Tücher bringen

Der in Marienhafe aufgewachsene Sportreporter Karsten Lübben berichtet für „Radio Bremen“ (ARD) über Werder Bremen. Darüber hinaus ist er auch für das Fachmagazin „kicker“ tätig. Für den KURIER blickt er auf die heute Abend beginnende Bundesliga-Saison der Bremer. Foto: Privat

Der in Marienhafe aufgewachsene Sportreporter Karsten Lübben berichtet für „Radio Bremen“ (ARD) über Werder Bremen. Darüber hinaus ist er auch für das Fachmagazin „kicker“ tätig. Für den KURIER blickt er auf die heute Abend beginnende Bundesliga-Saison der Bremer. Foto: Privat ©

Bremen Vor dem heutigen Saisonstart im Weserstadion gegen den FC Bayern hängt bei Werder ein wenig der Haussegen schief. Grund hierfür ist – natürlich – das verpatzte Spiel im DFB-Pokal bei Viktoria Köln am Sonnabend. Durch die 2:3-Niederlage schieden die Bremer bereits in der ersten Runde gegen den Drittligisten aus. Niclas Füllkrug äußerte deshalb im Anschluss deutliche Kritik an seinen Teamkollegen. Als nach dem Abpfiff im Sportpark Höhenberg die Party der Kölner losging und die Stadionregie einen Karneval-Klassiker nach dem anderen spielte, war der Nationalspieler mächtig angefressen. „Wir sind bekannt doof“, ärgerte Füllkrug sich. Vor allem missfiel ihm, dass Werder nach der frühen Roten Karte für Amos Pieper zweimal nicht in der Lage war, eine Führung über die Zeit zu bringen. „Wir sind unserem Ruf wieder gerecht geworden und verteidigen schlecht.“

Dass Füllkrug auch mal emotional reagiert und dann kein Blatt vor den Mund nimmt, ist nicht neu. Etwas skurril mutete allerdings am Sonntag die Reaktion des Sportlichen Leiters Clemens Fritz an. Dieser sprach einzeln mit mehreren Medien und hatte sich vorab natürlich parat gelegt, welche Botschaften er senden möchte. „Mir ist es lieber, wenn wir das intern besprechen“, sagte Fritz als Replik auf Füllkrugs Kritik. Zugleich verwies er darauf, dass bei Werder niemand mit dem Finger auf den anderen zeigen sollte. Allerdings nur, um wenige Minuten später scharf gegen Kapitän Marco Friedl, der sich vor dem Treffer zum 2:3 düpieren ließ, zu schießen. „Marco lässt sich da viel zu leicht ausspielen. Sein ganzes Anlaufverhalten ist schon verkehrt“, bemängelte Fritz. „Mit einer Körpertäuschung so leicht ausgespielt zu werden, das geht natürlich nicht.“ Friedl selbst war indes in dieser Woche auf Schadensbegrenzung aus, um das Thema vor dem Bundesliga-Start nicht noch größer zu machen.

In die Kritik geriet nach dem Köln-Spiel auch Trainer Ole Werner. Zum einen, weil er Marvin Ducksch nach 60 Minuten aus dem Spiel nahm, um Christian Groß einzuwechseln. Der Plan, die Defensive dadurch zu stärken, ging nicht auf. Zum anderen, weil er den spiel- und abschlussstarken Stürmer David Kownacki die gesamten 90 Minuten auf der Ersatzbank ließ. Und dies, obwohl der Neuzugang von Fortuna Düsseldorf mit fünf Treffern in fünf Testspielen Werders torgefährlichster Spieler in der Vorbereitung war.

Ebenfalls nicht zum Einsatz kam Senne Lynen, dessen Verpflichtung die Werder-Fans in der vergangenen Woche die Augen rieben ließ. Schließlich hatte sich die Vakanz auf der Sechs an der Weser schon fast zum „running-gag“ entwickelt. Nach dem Abgang von Thomas Delaney im Sommer 2018 war es dem Klub nie gelungen, die Position wieder adäquat zu besetzen. „Die Erwartungen sind hoch, aber ich liebe diesen Druck“, sagte der 24 Jahre alte Belgier bei seiner Vorstellung im Weserstadion. Mit seinem Ex-Klub Royale Union Saint-Gilloise mischte er in der vergangenen Saison überraschend die Europa League auf und kam dort bis ins Viertelfinale. Wer Lynens Werte in den einschlägigen Scouting-Datenbanken studiert, gewinnt den Eindruck, dass Werder sich hier zielgerichtet verstärkt hat. Er brilliert nicht durch progressives Passspiel, also durch clevere Bälle, die einem schnell näher an das gegnerische Tor bringen. Vielmehr verkörpert er den klassischen Abräumer, der dem Bremer Spiel mehr Stabilität verleihen soll. Wenngleich Werner öffentlich – natürlich – auch Lynens spielerische Klasse lobt.

Für die fußballerische Raffinesse im Mittelfeld hat Werder allerdings eher Naby Keïta verpflichtet. Ein Spieler, der im Mai 2022 noch für den FC Liverpool im Finale der Champions League zum Einsatz kam, ist im Normalfall kein realistisches Transferziel für Werder. Bei der Verpflichtung des Guineers half, dass dieser nach fünf Jahren in England zurück nach Deutschland wollte. Zugleich spielte es Werder in die Karten, dass er von der Agentur „ROOF“ beraten wird, die ebenfalls Füllkrug und Mitchell Weiser betreut. Der Klub konnte bei ihm zudem mit dem Wohlfühlfaktor im beschaulichen Bremen punkten.

An Keïtas fußballerischem Können bestehen keine Zweifel. Allerdings hat der 28-Jährige ständig mit Verletzungen zu kämpfen, weshalb die Liverpooler nicht mehr mit ihm planten. Bei Werder erwischte Keïta den schlechtmöglichsten Start und lieferte den Skeptikern prompt Argumente. Im Testspiel gegen den Regionalligisten VfB Oldenburg sollte er erstmals für Werder zum Einsatz kommen, zog sich aber direkt beim Aufwärmen eine muskuläre Verletzung an den Adduktoren zu. Er wird den Bremern noch einige Wochen fehlen.

Dass ein Kaliber wie Keïta trotz des Interesses weiterer Bundesligisten wie Eintracht Frankfurt und Union Berlin am Ende Werder den Zuschlag erteilte, liegt auch an einer weiteren Personalie, die in der Öffentlichkeit eher unter dem Radar läuft. Gemeint ist Johannes Jahns, der neue Kaderplaner des Klubs. Wie wichtig diese Position ist, hat Werder zu spüren bekommen, nachdem Tim Steidten 2019 zu Bayer Leverkusen ging. In diesem Sommer hat Steidten den nächsten Schritt gemacht und in London den Posten des Technischen Direktors bei West Ham United übernommen. Jahns wiederum hat sich dafür entschieden, von Red Bull Salzburg in seine Heimatstadt Bremen zurückzukehren. Aus gemeinsamen Zeiten in Salzburg kannte er Keïta bereits und konnte bei diesem ebenfalls Überzeugungsarbeit leisten.

An den Osterdeich will Jahns zukünftig junge Spieler mit großem Entwicklungspotenzial locken. In diesem Sommer soll definitiv noch eine Verstärkung für die linke Seite kommen, die in der Offensive mehr Akzente setzen kann als Anthony Jung. „Als Werder wollen wir ein Verein sein, der keine Stars einkauft, sondern Stars macht“, gibt Jahns als Ziel für die nächsten Jahre aus. In der Branche besitzt der 41-Jährige einen äußerst guten Ruf. Durch die etwas mehr als zehn Jahre im Fußballkosmos von Red Bull konnte er sich ein gutes Netzwerk aufbauen, das er nun in der Hansestadt nutzen will. Jahns Devise: „Wenn man gute Erfahrungen mit jemandem gemacht und ein Vertrauensverhältnis hat, ist das wichtig. Ich möchte demjenigen Grund geben, noch ein zweites Mal mit mir zu sprechen.“

Enorm viel gesprochen wurde derweil in den vergangenen Monaten mit Füllkrug, dessen möglicher Transfer sich ein wenig zum Sommer-Theater entwickelt hat. Werder und er können sich eine Trennung gut vorstellen, doch bisher ist kein konkretes und lukratives Angebot eingegangen. Für Werder ist Füllkrug eine Aktie, die sich aktuell wohl auf ihrem Höchstkurs befindet. Der klamme Klub würde sich daher nicht sträuben, den 30-Jährigen bei einer adäquaten Offerte zu verkaufen. Für Füllkrug wiederum muss es nicht nur finanziell, sondern auch sportlich passen. Seine oberste Priorität ist es, im kommenden Sommer als Stammspieler in der Nationalelf bei der EM in Deutschland dabei zu sein. Werder und er sprechen deshalb parallel auch weiterhin über eine Vertragsverlängerung. Falls es zu dieser kommt, wäre sie im Endeffekt ein Akt des Pragmatismus. Voraussichtlich dürfte der neue Kontrakt auch eine Ausstiegsklausel für den Sommer 2024 beinhalten.

Die vertraglich verankerte Ablösesumme würde dann freilich deutlich unter den mehr als 100 Millionen Euro liegen, die die Bayern nun für Harry Kane an Tottenham Hotspur gezahlt haben. Wenn der Kapitän der englischen Nationalmannschaft heute Abend im Weserstadion sein Debüt in der Bundesliga gibt, sind die Scheinwerfer weltweit auf Werder gerichtet. Trotz des Ausscheidens im Pokal ist die Vorfreude auf die neue Saison in Bremen groß. Vereinzelt wird gar davon geträumt, vielleicht sogar um die Qualifikation für den Europapokal mitspielen zu können.

Die sportliche Entwicklung zuletzt liefert dafür allerdings keine Argumente. Mit 15 Punkten aus 17 Partien war Werder in der vergangenen Saison das zweitschwächste Team der Rückrunde. In der Vorbereitung versuchte Werner nun neben der etablierten 3-5-2-Grundformation ein 3-4-3 zu etablieren, auf das er auch beim Pokal-Aus in Köln zu Beginn setzte. Dadurch will er variabler werden, andere Räume bespielen und für mehr Anspielstationen in der letzten Verteidigungslinie des Gegners sorgen. Bis die Mechanismen passen und die Neuzugänge eingebaut sind, wird es allerdings ein wenig dauern.

Der Blick sollte daher vor allem in den Rückspiegel gehen. Viele Fans in der Bundesliga spekulieren darauf, dass mit den beiden – eher namenlosen – Aufsteigern Darmstadt 98 und 1. FC Heidenheim die fixen Absteiger schon vor dem Saisonstart feststehen. Bei den Heidenheimern gehört es mittlerweile zum Markenkern, dass sie unterschätzt werden. Sie werden aber vielen Gegnern das Leben enorm schwer machen. Die Darmstädter wiederum galten auch im Sommer 2015 nach dem Aufstieg als Abstiegskandidat Nummer eins. Während die Hessen seinerzeit im ersten Jahr in der Bundesliga blieben, erwischte es mit dem VfB Stuttgart einen arrivierten Klub – und fast auch Werder, das sich erst am 34. Spieltag rettete. Für die Bremer dürfte es dieses Mal wieder eine Saison werden, in der einzig und allein der Klassenerhalt zählt. Gelingt dieser am Ende erneut sorgenfrei, wäre dies bereits ein großer Erfolg.

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