Als der Christbaum nach Ostfriesland kam
Wie hier in Norden sorgen die festlich geschmückten und beleuchteten Weihnachtsbäume vielerorts für eine feierliche Adventsstimmung. Foto: Meret Edzards-Tschirnke
Es gibt so einige Symbole der Weihnachtszeit, die uns selbstverständlich erscheinen. Christkind und Weihnachtsmann, Adventskranz und Stollengebäck, Geschenke natürlich auch. Ihnen fallen sicher noch weitere ein.
Und dann ist da noch der Weihnachtsbaum. Auch so ein Klassiker, den es immer schon gab und der nicht nur aus der guten Stube auch im 21. Jahrhundert nicht wegzudenken ist. Weihnachtsbäume schmücken Innenstädte, Weihnachtsmärkte, Konsumtempel genauso wie Kirchen. In vielen Familien erreicht die weihnachtliche Stimmung mit dem Schmücken des Baumes einen ersten Höhepunkt, der nicht selten mit der ganzen Familie zelebriert wird.
Nur das mit dem „immer schon“, das lässt sich für Ostfriesland nicht so ganz bestätigen. Hierzulande nämlich begrünt man das Wohnzimmer erst seit sehr viel kürzerer Zeit mit dem Tannengrün, als das in anderen Regionen Deutschlands der Fall ist.
Kamen die Bäume später
nach Ostfriesland?
Weihnachtsbäume sind quer durch Deutschland schon früh eindeutig nachweisbar, für Ostfriesland muss man da intensiv suchen, um entsprechende Berichte zu finden. Allerdings ist es wohl nicht ganz so extrem, wie der Heidelberger Professor Eugen Fehrle noch 1927 in seinem Buch „Deutsche Feste und Volksbräuche“ behauptet: „In Ostfriesland hatte man bis vor Kurzem kein Bäumchen“, behauptet Fehrle dort, doch lässt sich hier mit einem anderen Gelehrten kontern. Superintendent Wiard Lüpkes nämlich wusste bereits 20 Jahre vor Fehrle in seiner bekannten „Ostfriesischen Volkskunde“ zu erzählen, dass um die Jahrhundertwende sehr wohl eine gewisse Verbreitung des Baums zu erkennen war, wenngleich regional unterschiedlich: „Jetzt aber ist der Christbaum mit seinen Lichtern und sonstigen glitzernden Schmuck auch bereits in den Marschgegenden, in der Krummhörn und im Rheiderland ziemlich verbreitet, wenigstens bei den besser Situierten. In der Auricher, Norder, Esenser Gegend aber entbehrt kaum die ärmste Hütte des Bäumchens.“
Die Formulierung „Jetzt aber“ verweist indes bereits auf die Tatsache, dass es sich um eine jüngere Entwicklung handelt. Denn, so weiß Lüpkes: „Der Tannenbaum als Lichterbaum ist erst in neuerer Zeit, von den holzreichen Gegenden vordringend, ein Zubehör der ostfriesischen Weihnachtsfeier geworden. In den Volksreimen und sonstigen volkstümlichen Überlieferungen suchen wir vergebens nach Beziehungen darauf.“
Lüpkes deutet es an: Ostfriesland war (und ist bis heute) wohl eine der waldärmsten Gegenden Deutschlands. So standen schlicht und ergreifend in der freien Natur viel zu wenige Tannenbäume herum, die ihren Weg in die Häuser der Menschen hätten finden können. Darüber hinaus hätten gerade in ländlichen Gegenden die geschlagenen Bäume erst einmal über eine weiter Distanz transportiert werden müssen. Ausgebaute Straßen in der Art von Chausseen, die es in anderen Landesteilen gab, waren in Ostfriesland Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbekannt.
1500 Weihnachtsbäume
im Wert von 450 Mark
Doch der Trend zum Weihnachtsbaum schwappt Ende des 19. Jahrhunderts dann doch ganz langsam auch in unserer Breiten herüber. 1881 berichten die Lehrer de Vries und Focken in ihrem Buch „Ostfriesland“, 1877 seien insgesamt 1500 Weihnachtsbäume im Gesamtwert von 450 Mark in der Region verkauft worden. Der Baum beginnt also nun, sich durchzusetzen und auch in ostfriesischen Gefilden zum traditionellen Bestandteil des Weihnachtsfestes zu werden.
Doch nicht nur die Waldarmut ist ein Grund für die schleppende Einführung des Christbaums, ein weiterer liegt in der religiösen Struktur Ostfrieslands, das im 19. Jahrhundert in weiten Teilen Stammgebiet der Reformierten war, die mit dem prächtig geschmückten Baum wenig anfangen konnten. 1913 schreibt der Universitätsprofessor Arnold Meyer: „Die Reformierten haben darin [gemeint ist der Weihnachtsbaum] noch lange eine Veräußerlichung der Religion gesehen und wenig davon wissen wollen.“ Aus der Krummhörner Gegend sind gar Berichte überliefert, in denen der Baum als „viel zu weltlicher Firlefanz“ diskreditiert wird.
Heute wird vermutet, dass die frühesten Weihnachtsbäume in Ostfriesland zwischen 1815 und 1820 durch hannoversche Beamte importiert wurden, und auch für die Zeit um 1830 gibt es vereinzelt Hinweise auf Bäume im Emder Raum. 1848 schließlich schreibt die Frau des damaligen Landdrosten Carl Freiherr von Marschalek aus Aurich an ihren Bruder in Norwegen: „Wir hatten einen hübschen Weihnachtsbaum und viele gegenseitige Geschenke.“ 1858 werden im „Leerer Anzeigenblatt“ „schöne Weihnachtsbäume zu 2 oder 4 Groschen“ angeboten.
Es gibt sie also, die frühen Zeugnisse ostfriesischer Christbäume, doch stammen sie in der Regel aus dem Umfeld hochgestellter Familien wie der des Landdrosten. Flächendeckend dürfte der Baum dann tatsächlich erst um die Jahrhundertwende Einzug gefunden haben. Ein weiterer Grund dafür ist vermutlich auch in der in Ostfriesland starken Sünnerklaas-Tradition (siehe. Beitrag vom letzten Sonnabend) zu sehen, bei der der Baum keine Rolle spielt.
Kommen wir noch einmal zurück zu Professor Fehrle, der sich ordentlich am Thema des nicht existenten ostfriesischen Weihnachtsbaums abgearbeitet hat. In seinen „Deutschen Festen und Volksbräuchen“ stellt er die unbewiesene Behauptung auf, in Ostfriesland verwende man als Ersatz für einen richtigen Baum „ein Gestell, an dem Laub, Zucker und etwas Gebäck“ angebracht seien. Bewiesen ist indes, dass ein künstlich gebastelter Baum 1890 seinen Platz auf der Insel Juist fand. Wegen der zugefrorenen Nordsee konnte kein echter Baum auf die Insel gebracht werden und der Lehrer Otto Leege bastelte daraufhin mit seinen Schülern einen eigenen Baumersatz.
Abschließend soll hier auf den im Fehn- und Schifffahrtsmuseum in Westrhauderfehn ausgestellten „Seemannsweihnachtsbaum“ hingewiesen werden. Stamm und Äste bestehen aus einem Holzgestell, Kugeln und Schmuck sind durch diverse Knoten aus Tauwerk ersetzt. Ein Schiffsjunge schuf diese Arbeit, als der Steuermann seines Schiffes von ihm eine praktische Arbeit zur Beförderung zum Leichtmatrosen verlangte.
Dass an Weihnachten nicht ausschließlich schöne Dinge passieren, wird Gegenstand des nächsten Beitrags am 16. Dezember sein. Lassen Sie sich überraschen und haben Sie einen schönen zweiten Advent!
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