Auch ohne Ausstellung ein beklemmender Abend

Norden Anders als geplant und doch ein Abend mit enormer Wirkung: Gedacht als Ausstellungseröffnung wurde daraus ein Bildervortrag am Donnerstag in der Norder Kreisvolkshochschule (KVHS). Dorthin hatte die Norder Vertretung von terre des femmes den Fotografen Hyp Yerlikaya eingeladen, der über seine Bilder „gesichtslos – Frauen in der Prostitution“ sprechen sollte. 40 von insgesamt 1800 Fotografien sollten ausgestellt werden, die deutlich machen, was Zwangsprostitution bedeutet: ein Leben für Frauen unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Knapp 30 Gäste waren zur vermeintlichen Eröffnung gekommen, die dann eben nicht so ablief wie vorgesehen. Die Bilder, die Hyp Herlikaya in einem über zwei Jahre dauernden Projekt in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle „Amalie“ in Mannheim aufgenommen hat, können nicht wie ursprünglich geplant in den Räumlichkeiten der KVHS gezeigt werden. „Sie brauchen einen geschützten Raum“, sagte Irina Eifert von der Norder KVHS. Und Yerlikayas Vortrag, in dessen Rahmen er Bilder zeigte, die auch in der Ausstellung zu sehen sein werden, machte genau das deutlich. Dass sie nicht „im Vorbeigehen“ mal eben anzuschauen sind, sondern dass man sich auf das Thema einlassen, sich mit ihm auseinandersetzen muss, dass man Informationen benötigt, dass man Zusammenhänge begreifen muss. Das aber könne in einem doch sehr öffentlichen Raum, wie ihn die KVHS darstellt, nicht gewährleistet werden. Zu sehen sein sollen die Bilder dennoch: Man sei an einer anderen Örtlichkeit dran, verriet Eva Requardt-Schohaus, eine der Initiatorinnen der Ausstellung und ihres Begleitprogramms mit Buchvorstellung, Vortrag und Podiumsdiskussion (der KURIER berichtete bereits ausführlich).

40, 50 Bilder von Frauen, die sich prostituieren müssen, die gezwungen werden. „Das ist nicht weit von Sklaverei“, klärte Yerlikaya das Publikum auf. Mehrfach betonte der Fotograf und Künstler, dass 90 Prozent der Frauen gezwungen seien, gezwungen würden, sich zu prostituieren und dass er sich ihrer annehme, nicht etwa jenen zehn Prozent, die aus freien Stücken in diesem Gewerbe unterwegs seien. Yerlikaya berichtete, wie er in einem Bordell fotografieren durfte, dass er Frauen in ein dunkles Kellerloch oder ein nicht viel saubereres Hinterzimmer mit dreckigen Matratzen begleitete, dass Frauen berichteten, wie sie tätowiert wurden – als Brandzeichen, damit sie erkennbar waren für „ihren“ Zuhälter. Frauen in gemieteten Wohnungen in einem nach außen hin ganz normalen Mehrfamilienhaus, Frauen, die in Autos mitgenommen und später im Wald einfach sich selbst überlassen wurden, auch schon mal ohne Bezahlung aus dem Wagen gedrängt, das Handy noch geklaut.

Frauen, immer und überall der Willkür und der Gewalt ausgesetzt. Frauen, die mit „einfachem“ Sexangebot gar nicht überleben können, sondern gezwungen sind, sich vielmehr bei weiteren Praktiken und „erlaubter“ Gewalt gegen etwas höheres „Entgelt“ erniedrigen und demütigen lassen müssen. Frauen, die in einem Teufelskreis leben und nicht herausfinden können. Yerlikaya erzählte von 220 Personen und Gruppen allein in Moldawien, die Frauen mit falschen Versprechungen anlockten, von Drogen, von k.-o. Tropfen, mit denen man die Frauen gefügig mache, von Gewalt und immer wieder Gewalt. Und? Kaum eine Chance für jene, die in den Teufelskreis geraten sind. Oft keine Sprachkenntnisse, keine Wohnung, kein Arbeitsplatz, keine Krankenversicherung – den Zuhältern ausgeliefert. Und allein. Denn Freundschaften gebe es eher nicht, erklärte Yerlikaya, die Frauen seien Konkurrentinnen. Die doch alle das Gleiche erlebten, das Gleiche empfänden: Ekel.

Es sind Bilder, die Erklärungen brauchen, Erläuterung, Hinführung zum Thema und Auseinandersetzung mit den Hintergründen. Zu allen Bildern gebe es die Geschichte aus dem Interview, sagte Yerlikawa – und genau die braucht es auch. Dass die Gefahren nicht nur Frauen drohen, die aus dem Ausland nach Deutschland gelockt werden, erklärte er auch – dass über Internetdienste wie „Onlyfans“ junge Mädchen gelockt würden. Erst sich im Bikini zeigten, dann nackt – und schließlich gegen Zahlung bereit seien zu treffen. Der Einstieg in den Abstieg.

Wie berichtet, setzen sich die Frauen von terre des femmes dafür ein, dass Prostitution in Deutschland verboten wird, sie wollen, dass auch hierzulande das sogenannte „Nordische Modell“ angewandt wird, das in etlichen Ländern Europas gilt. Es kriminalisiert die Kunden. Die terre des femmes-Frauen in Norden wollen zumindest ein Zeichen setzen: Sie sammeln Unterschriften, damit der Landkreis Aurich Prostitution in seinem Geltungsbereich verbietet. ish