Das Bollwerk gegen Bild und RTL2

Von Stefan Bergmann

Der Chef der Freimaurer-Loge in Norden, Dr. Jörg Kroemer: „Wir glauben an etwas. Aber wie es heißt, das bleibt jedem selbst überlassen.“Foto: Stefan Bergmann

Norden Viele Mythen und Schauermärchen beschäftigen sich mit den Freimaurern. Genau wie Juden und andere Menschen sind Freimaurer Thema von vielen Verschwörungstheorien. Die Norder Freimaurerloge „Zu den drei Sternen“ ist jetzt 100 Jahre alt geworden. Wir haben mit dem Meister vom Stuhl, Dr. Jörg Kroemer, gesprochen. Er wohnt in Aurich und war in seiner aktiven Berufszeit Unfallchirurg.

Herr Dr. Kroemer, haben Sie heute schon die Welt regiert?

Na klar, haben Sie das nicht bemerkt? (lacht) Nein, es ist natürlich nicht so. Dass uns das vorgeworfen wird, liegt wohl eher daran, dass man über uns wenig weiß und wir deswegen verdächtig sind. Daraus ergeben sich dann wüste Verschwörungstheorien.

Mehr ist es nicht? Sie sind doch nicht das Feindbild Nummer eins aller Rechtsextremen, bloß weil Sie sich heimlich treffen und nicht öffentlich.

Es liegt natürlich auch daran, dass die geistige Elite damals alle Freimaurer waren. Sie dachten frei, hörten nicht so sehr auf die Obrigkeit. Unter Diktaturen sind Freimaurer nach wie vor verboten. Die Logen waren schon immer verdächtig, ihr eigenes Ding zu machen, und das hat sich fortgesetzt.

Unter den Nationalsozialisten waren die Logen verboten, danach gründeten sie sich neu.

Viele Logen hatten sich nach dem Krieg schnell wieder gegründet, in Norden hat es allerdings sehr lange gedauert. Wir haben im Moment 15 Mitglieder. Das sind nicht viele, leider. Wir haben Nachwuchssorgen, so wie jeder Verein.

Was sind denn Ihre Ziele?

Wir bemühen uns um Werte wie Toleranz, Mitmenschlichkeit, Humanität, Freiheit des Denkens – also Werte jenseits von Bild-Zeitung und RTL2. Aber unser Bestreben ist es nicht, andere Leute glücklich zu machen, sondern ans uns selbst zu arbeiten.

Warum eigentlich Maurerei?

Die Freimaurerei bezieht sich auf das Steinmetzhandwerk. Das gibt es seit 3000 Jahren. Das heißt aber nicht, dass die Steinmetze, die damals die Kathedralen gebaut haben, Freimaurer waren. Aber wir haben unsere Lehre damit verglichen. Wir haben viele Symbole aus der Handwerkskunst...

...das müssen Sie genauer erklären...

...die Handwerker haben Kathedralen gebaut, wir bauen auch eine Kathedrale, wir bauen den Tempel der Humanität. Wir arbeiten an uns selbst, weil wir denken, dass wir uns verbessern können.

Was muss ich tun, um zu Ihnen zu kommen?

Jeder kann kommen. Es gibt gemischte Logen, und es gibt auch Frauenlogen. Unsere Adressen und Telefonnummern finden Sie überall.

Dass das anachronistisch ist, wissen Sie, oder?

Ja. Das ist halt eine Tradition. Die Freimaurer wurden damals als Männervereine gegründet, und das ist so geblieben. Es gibt aber gemeinsame Feste mit unseren Frauen und die Frauen wissen natürlich, was wir tun.

Was tun Sie denn? Warum wird so eine Heimlichtuerei um die Freimaurerei gemacht?

Machen wir ja nicht, ich habe das Freimaurer-Symbol an meiner Haustür.

Aber trotzdem weiß man nicht, was Sie bei Ihren Treffen machen.

Wir halten das geheim, weil unsere Rituale etwas ganz Besonderes sind. Ich kann Ihnen erzählen, was wir machen, aber dann wird es zerredet.

Ist das Ritual eine Möglichkeit, Ihren Gedanken und Ihren Zielen eine fassbare Form zu geben?

Das ist ganz wichtig. Das ist die komprimierte freimaurerische Lehre, es ist sehr meditativ, sehr beeindruckend. Das kann man einem Außenstehenden gar nicht richtig vermitteln.

Wenn der Otto Normalbürger an Rituale denkt, dann kommen meistens solche Bilder: Kerzen, ein Altar, Menschen in Kutten, je nach Vorliebe auch Jungfrauen...

...nein, keine Jungfrauen. Ein Gottesdienst ist auch ein Ritual. Die Menschen finden das erbaulich und schön. Ein Ritual ist per se ja nichts Schlimmes.

Ist Ihr Ritual wie ein Gottesdienst – nur ohne Gott?

Es gibt religiöse und die philosophische Richtung bei den Freimaurern. In Norden leben wir die philosophische Richtung.

Die Freimaurerei lehrt freies Denken, die Verbesserung durch eigene Anstrengung. Die Kirchen dagegen sagen einem ganz gerne, was gut ist und was nicht. Wie verträgt sich das?

Mit dem Protestantismus verträgt es sich, mit dem Katholizismus nicht. Da werden sie exkommuniziert, wenn sie sich als Freimaurer zu erkennen geben. Wir glauben an irgendeine Kraft, die die Welt geschaffen hat und zusammenhält. Wie diese Kraft aber heißt, ist jedem überlassen. Es kann Gott heißen, Elvis Presley oder auch nur die „Schwerkraft“.

Sie haben 15 Mitglieder in Norden, sie hätten gerne mehr. Aber so richtig Werbung können Sie ja nicht machen. Das ist nicht gut, oder?

Heute hat jede Loge einen Internetauftritt, man kann die Rituale im Internet nachlesen, wir stehen im Telefonbuch. Aber es gibt immer noch Brüder, die das gerne für sich behalten möchten.

Aber warum? Es wird nichts Verbotenes gemacht und Jungfrauen gibt es auch nicht.

Viele Brüder befürchten, dass die Schwierigkeiten kriegen, wenn bekannt wird, dass sie Freimaurer sind. Dunkle Machenschaften, Verschwörer – all dies können die Vorwürfe sein. Eben alles, was die Verschwörungstheorien so hergeben.

Ab wann galt es eigentlich als despektierlich, Freimaurer zu sein?

Im 18. und 19. Jahrhundert gehörte es zum guten Ton, ein Freimaurer zu sein. Ab dem Ersten Weltkrieg war das vorbei. Früher waren die Freimaurer eine Institution in der Gesellschaft. Fürsten, Könige, Dichter – sie waren alle Freimaurer. Heutzutage wird es immer weniger. Vielleicht hat es sich ein bisschen überlebt.

Ein Verein hat einen Vorsitzenden, Sie haben einen „Meister vom Stuhl“. Etwas antiquiert, oder?

Früher, vor 300 Jahren, musste man stehen bei den Versammlungen, nur der Chef durfte sitzen, auf dem einzigen Stuhl, der im Raum stand.

Wo treffen Sie sich in Norden?

Im Bürgerhaus. Wir mieten die Räume ganz normal. In Emden gab es ein Logenhaus. Aber dann wurde es zu teuer und die Loge löste sich auch auf. In Emden gibt es zurzeit keine Freimaurerloge, leider.

Noch einmal zurück zum Anfang: Wie nötig sind Freimaurer heutzutage, was läuft in der Gesellschaft in die falsche Richtung?

Ich finde, dass Menschen heutzutage über Dinge wie Toleranz, Redefreiheit, Pressefreiheit und die persönliche Entwicklung nachdenken müssen. In der heutigen Zeit, wo vieles sehr oberflächlich ist, kann das nicht schaden. Aber wir sind keine Missionare, wir wollen die Welt nicht retten. Wir wollen niemanden von irgendetwas überzeugen.

Wie kann ich denn Mitglied bei Ihnen werden?

Man unterhält sich mit dem Interessenten, unter vier Augen. Dann kommt er zu den Gesprächsabenden. Er erfährt alles, nur bei den Ritualen ist er nicht dabei. Entscheidet sich der Kandidat einzutreten, dann ist er dabei. Die Loge kann ihn nicht wieder ausschließen. Aber der Kandidat kann von sich aus wieder austreten, wenn er will. Wir treffen uns zweimal im Monat, manchmal auch dreimal, jeweils montagabends.

Werden wir kurz philosophisch: Welcher Philosoph verkörpert die freimaurerische Lehre am ehesten?

Immanuel Kant. Der schwierigste von allen. Aber er wird nicht gepredigt und wir sind auch kein philosophischer Selbsthilfeklub. Bei uns arbeitet jeder an sich selbst, niemand überzeugt den anderen von irgendwas und niemand predigt irgendeinen Glauben.

Sind Sie der Meinung, dass Sie jetzt, nach ungezählten Jahren in der Loge, ein besserer Mensch sind?

Das weiß ich nicht. Aber ich denke jetzt über Dinge nach, die ich früher nicht an mich herangelassen habe.

Ein Beispiel?

Die Toleranz. Die habe ich gelernt.

In einem Satz: Warum sollte ich bei Ihnen Mitglied werden?

Wenn Sie das Gefühl haben, dass aus einem guten Menschen ein noch besserer werden könnte, dann sind Sie bei uns richtig.

Wer sind die Freimaurer?

Schon 1860 gründete sich in Norden ein „Kränzchen“ von Herren, die anderen Logen angehörten.

Es sollte aber noch 64 Jahre dauern, bis 1924 die Norder Loge „Zu den drei Sternen“ gegründet wurde. Mit dem ersten Meister vom Stuhl am 13. Januar 1924 beginnt die Zeitzählung der Loge.

Die Loge traf sich zuerst im Gasthof Zur Börse, dann im Deutschen Haus. 1935 wurden alle deutschen Logen von den Nazis zwangsaufgelöst; die Norder machten dies kurz vorher selbst. Es sollte bis 2003 dauern, bis die Loge neu gegründet wurde.

Die Mitgliedschaft kostet 240 Euro im Jahr, Infos über die Loge gibt es im Internet unter freimaurer-norden.de