Die große IG Metall Küste feiert den Tag der Arbeit in Norden
Eine so große Gewerkschaftsveranstaltung dürfte Norden so schnell nicht wieder erleben: Am 1. Mai findet die zentrale Kundgebung für Deutschlands Nordwesen auf dem Norder Markt statt. Bezirksleiter Daniel Friedrich sagt selbstbewusst: Es geht um mehr Geld!
In seinem Element: Der IG-Metall-Bezirksvorsitzende Daniel Friedrich bei einer Rede. Im KURIER-Interview erläutert er, warum Gewerkschaften immer wichtiger werden – und was er vom Lokführer-Streik hält.
Norden Der 1. Mai ist noch immer – und in Ostfriesland – ein echter Feiertag für die Gewerkschaft. In diesem Jahr wird die Stadt Norden zum Zentrum gewerkschaftlicher Kundgebungen: Der mächtige IG-Metall-Bezirk Küste richtet seine zentrale Kundgebung nicht in Hamburg, Kiel oder Bremen aus – sondern auf dem Norder Marktplatz. Der Bezirksleiter Daniel Friedrich erklärt im Interview mit dem KURIER, warum der 1. Mai für Arbeitnehmer noch immer wichtig ist:
Die zentrale Veranstaltung der IG Metall Küste in Norden – was verschafft uns die Ehre?
Wir möchte gerne auch vor Ort sein, nicht nur in den großen Städten. Die Kollegen vor Ort machen tolle Arbeit, und unser Mann, Torsten Hasenpusch, der bei VW arbeitet, hat uns vor längerer Zeit schon eingeladen. Zum ersten Mal wird unsere Kundgebung draußen stattfinden und wir hoffen, dass viele Bürgerinnen und Bürger kommen. Könnten Sie bitte für schönes Wetter sorgen?
Ja, wir tun, was wir können!
Wir werden auf jeden Fall viel auf die Beine stellen mit Angeboten für die ganze Familie.
Die wichtigste Botschaft der IG Metall, nicht nur am Tag der Arbeit, lautet: „Mehr Lohn ist das Gebot der Stunde“. Gewerkschaften wollen doch immer nur „mehr Geld“. Ist das nicht ein bisschen zu einfach?
Es ist natürlich nur eine unserer Botschaften. Aber trotzdem ist sie wichtig. Denn die Preissteigerungen der vergangenen Monate und Jahre haben schon dazu geführt, dass die Kolleginnen und Kollegen weniger Geld in der Tasche haben. Und auch, wenn die Inflation jetzt wieder zurückgegangen ist: Die hohen Preise steigen ja weiter, für Lebensmittel wie Energie. Und wir haben ja auch gerade die Diskussion darüber, wie es den Menschen in den unteren Einkommensbereichen geht. Und da ist schon eine große Frage. Wie können wir diese Menschen stabilisieren?
Also geht es nur ums Geld.
Es geht um mehr. Immer mehr Menschen sagen, sie möchten gerne selber wählen, ob sie mehr Geld oder mehr Urlaub haben. Da haben wir inzwischen Angebote in den Tarifverträgen. Davon müssen wir mehr bekommen bei mehr Unternehmen. Ja, es geht um Geld, gute Arbeitszeiten und Sicherheit. Und da haben wir Gewerkschaften einiges im Angebot.
Aber haben Sie denn gar kein Mitleid mit den Arbeitgebern? Sie müssen das alles bezahlen. Und sie leiden ja genauso unter den hohen Preisen wie die Arbeitnehmer.
Wir haben in den letzten drei Jahren gesehen, dass das mitnichten der Fall ist. Im Gegenteil: Der DAX explodiert, die Aktionäre verdienen viel Geld. Wir müssen uns deswegen mit unseren Lohnforderungen nicht verstecken. Aber es ist auch klar: Jeder Tarifvertrag ist auch ein Kompromiss. Wir beziehen die wirtschaftliche Realität eines Unternehmens in unsere Verhandlungen immer mit ein.
Können wir das mal konkret machen? Wie viel verdient man denn als Facharbeiter in der Metallindustrie, beispielsweise als 35-jähriger Mann?
Es ist natürlich davon abhängig, was Sie machen. ein Facharbeiter kommt etwa auf 40000 bis 45000 Euro im Jahr. Wenn Sie aber Spezialist sind und hochqualifiziert, dann können es auch bis zu 70000 oder 80000 Euro sein.
So richtig gestreikt hat die IG Metall ja lange nicht mehr. Dagegen Ihre Kollegen von der Lokführergewerkschaft GDL. Wie genervt waren Sie davon?
Nein, mich hat der Streik nicht genervt, weil ich finde dass Streik zur Demokratie dazugehört. Mich nervt mehr, dass die GDL ja eine kleine Spartengewerkschaft ist, die nur einen kleinen, exklusiven Teil verhandelt im Konzern und die Belegschaft spaltet. Ich bin der Meinung, dass es gemeinsam besser geht.
Kommen wir zu Ostfriesland. Das größte Unternehmen, VW, bezahlt bekanntermaßen gut. Da braucht man Sie als Gewerkschaft doch gar nicht.
Dann fragen Sie sich doch mal, warum VW gut bezahlt? Weil wir dort so stark sind. Man tut ja immer so, als würden die deutschen Unternehmen Sozialpartnerschaft gute Bezahlung, Gewerkschaften mit der Muttermilch aufsaugen. Aber so ist es nicht. Man muss nur schauen, wie sie sich an ihren Auslandsstandorten verhalten.
Bei den Zulieferern rund um VW kriegt die IG Metall aber kein Bein an den Boden. Warum ist das so?
Viele Arbeitgeber in diesem Bereich sind nicht Mitglied in den Arbeitgeberverbänden. Dann gelten auch keine Tarifverträge. Wir sind da dran. Wir haben im letzten Jahr im Bezirk Küste über 20 Firmen mit über 6000 Beschäftigte in die Tarifverträge geholt. Zuletzt gerade bei Ørsted in Norddeich.
Enercon und die IG Metall waren nie Freunde; eher im Gegenteil. Man hört jedoch, dass Sie sich annähern…
Ich glaube, man hat auf beiden Seiten abgerüstet. Enercon hat auch auf Druck der Banken gemerkt, dass die Verschachtelung des Unternehmens nicht mehr funktioniert. Die Beschäftigten haben sich auf den Weg gemacht, eine starke Interessensvertretung zu bilden. Es verbindet auch, dass wir in Berlin und Hannover auch gemeinsam für die Zukunft der Windindustrie kämpfen. Es gibt bis 2025 Lohnerhöhungen um bis zu 30 Prozent. Wohl auch, weil Enercon weiß, dass wir sonst noch mehr Zulauf bekommen und wir einen Tarifvertrag fordern würden.
Warum haben die Verhandlungen mit Ørsted eigentlich so lange gedauert?
Weil es um Unendlichkeitskosten ging. Das heißt: Was einmal zugesagt wird, kann nicht mehr gestrichen werden. Ich bin froh, dass wir es am Ende des Tages gemeinsam gut gelöst bekommen haben. Unser Signal ist, dass jetzt auch noch mehr Offshore-Firmen diesem Beispiel folgen. Denn wir wollen ja auch Wettbewerb auf dem Meer. Und der sollte nicht auf dem Rücken von Kollegen ausgetragen werden, weil ein Unternehmen ohne Tarif billiger ist, aber nur, weil es weniger zahlt. Und deswegen fordern wir auch, dass generell bei öffentlichen Ausschreibungen nur tarifgebundene Unternehmen ausgewählt werden dürfen. Wenn wir Tarifautonomie wollen, dann kann es nicht sein, dass ein Arbeitgeber, der Tarifverträge eingeht, der Dumme ist.
Glauben Sie, dass Sie dieses Ziel erreichen werden?
Ja, und es hat auch noch einen Effekt. Es ist erwiesen, dass in mitbestimmten Betrieben Parteien wie die AfD weniger Chancen haben. Denn wenn man im Betrieb lernt, dass man Konflikte gemeinsam lösen kann, dann gerät man auch nicht so schnell in Gefahr, Rechtsradikalen auf den Leim zu gehen, die ja davon leben, Konflikte zu schüren. Mitbestimmung ist ein Garant für eine gute Demokratie und ich glaube, es ist für jeden Betrieb richtig und wichtig, dass die Mannschaft mitgenommen wird – und dazu gehören eben Betriebsräte und Tarifverträge.
Die Meyer Werft kam in der Corona-Krise arg ins Trudeln, um nicht zu sagen: Zwischendurch waren die finanzielle und die Auftragslage dramatisch. Wie sind Sie als Gewerkschaft eigentlich damit umgegangen?
Die Lage war in der Tat dramatisch. Aber wenn Unternehmen in solchen Schwierigkeiten sind, dann haben sie uns als Gewerkschaft auch an ihrer Seite. Wir sprechen dann mit der kaufmännischen Abteilung, wir prüfen die Jahresabschlüsse...
...ich müsste einer Gewerkschaft meine Bücher offenlegen, geht das vielleicht nicht ein bisschen zu weit?
Nun ja, wenn man von uns als Gewerkschaft Entgegenkommen erwartet – beispielsweise indem wir zustimmen, dass tariflich festgelegte Sonderzahlungen aufgrund der finanziellen Situation ausgesetzt werden oder Ähnliches – , dann wollen wir schon wissen: Wie ist die tatsächliche Lage? Ist irgendwohin Geld abgeflossen? Wurden trotz der Krise große Dienstwagen angeschafft, beispielsweise.
Was habe ich dann davon als Arbeitgeber?
Fragen Sie lieber: Was haben die Arbeitnehmer davon? Am Ende des Tages ist es immer noch so, dass der Arbeitgeber mächtiger ist als der einzelne Beschäftigte. Und wenn wir als Gewerkschaft dafür sorgen, dass alle Arbeitnehmer gemeinsam gegenüber dem Arbeitgeber auftreten, dann hat das natürlich Vorteile. Es schafft Augenhöhe.
Was sagen Sie eigentlich einem Arbeitgeber, der behauptet: Ich brauche keine Tarifverträge, das wird zu teuer, ich lasse keine Gewerkschaft in meinen Betrieb? Welche Vorteile haben Arbeitgeber, wenn Ihr Betrieb im Tarif ist?
Die Innovationsfähigkeit und auch die Profitabilität steigt in Betrieben mit Tarifvertrag. Ich halte mehr Personal und kann auch mit einem Tarifvertrag den Betriebsfrieden sichern. Somit profitiere ich langfristig davon, dass wir eine stabile Gesellschaft haben, da Tarifverträge Kernbestandteile unseres gesellschaftlichen Systems sind. Als Arbeitgeber muss ich nicht mit jedem einzeln verhandeln, sondern habe eine Lösung, die für alle gilt. Vielleicht dauern manche Lösungen länger, dafür sind sie aber stabiler und halten länger.