Die Sepsis ist ein Notfall, der aber oft nicht als solcher erkannt wird
Bis zu 1000 Menschen täglich geschult: Auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel belegte 2017 einen Laien-Reanimations-Crashkurs bei Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp. Foto: privat
Ostfriesland Wenn es um Notfallmedizin geht, übernimmt seine Unikinik oft eine Vorreiter-Rolle und hat damit bereits zig Menschenleben gerettet. Bei den Auricher Wissenschaftstagen wird der Klinikdirektor für Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin an der Unimedizin Greifswald, Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp, am 24. September ab 19 Uhr im Auricher Güterschuppen einen Vortrag zum Thema „Sepsis – ein Notfall“ halten. Der Klinik-Chef stammt gebürtig aus Aurich.
Sie haben Ihr Abitur in Ostfriesland gemacht. Wann und warum stand für Sie fest, dass Sie Medizin studieren?
Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp: Das war im Verlaufe der elften bis zwölften Klasse, obwohl ich kein ausgewiesener Naturwissenschaftler gewesen bin. Meine Leistungsfächer waren Englisch und Geschichte. Auch von elterlicher Seite gab es keinerlei Verbindung dahin. Meine Motivation war und ist, selbst wenn das jetzt abgedroschen klingen mag, dass ich Menschen helfen will. Endgültig verfestigt hat es sich, als ich im Zivildienst für den Landkreis Aurich als Rettungssanitäter gearbeitet habe. Das war auch für meine Mutter der letzte Test. Die hat nämlich immer im Scherz behauptet, ich wäre zu schwach besaitet und könnte gar kein Blut sehen.
Die Notfallmedizin ist nach wie vor einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte.
Hahnenkamp: Eine unserer Säulen ist die Laien-Reanimation. Das bedeutet, wir schulen Menschen, wie sie sich bei Herz-Kreislauf-Stillstand richtig verhalten. 70 Prozent solcher Fälle passieren unter Beobachtung und zu Hause. Da fällt jemand neben einem um, und man will ja helfen. Die meisten von uns haben irgendwann die stabile Seitenlage gelernt und versuchen sich dann daran zu erinnern. Die ist aber eigentlich zu kompliziert. Auf die Seite legen und den Kopf überstrecken reicht, wenn jemand bewusstlos ist. Meistens ist es aber ein Herz-Kreislauf-Stillstand. Da ist die stabile Seitenlage nutzlos, eine Herzdruck-Massage muss durchgeführt werden. Wie das funktioniert, ist in fünf Minuten erklärt. Das haben wir im Rahmen des Projektes „Land/Rettung“ mit bis zu 1000 Leuten am Tag trainiert, beispielsweise auf dem Greifswalder Marktplatz. Da hat auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mitgemacht. Inzwischen sind wir bei der Laien-Reanimation in Deutschland von null auf Platz drei geklettert und wissen, dass wir damit viele Leben gerettet haben.
Der Landkreis Greifswald ist ähnlich wie Ostfriesland überwiegend ländlich geprägt. Wie sieht es da mit der flächendeckenden Notfallversorgung aus?
Hahnenkamp: Da gibt es tatsächlich etliche Parallelen, und ich denke Ostfriesland auch immer mit. Wir haben als zusätzliche Zwischenstufe eine Smartphone basierte Ersthelfer-Alarmierung. Wenn in der Leitstelle ein Notruf ankommt, können darüber registrierte Helfer alarmiert werden, die bestimmte Qualifikationen haben und schneller als der Rettungswagen oder Notarzt vor Ort sind. Inzwischen wird das nicht nur bei uns, sondern auch in mehreren anderen Bundesländern eingeführt. Außerdem haben wir rund um die Uhr einen Tele-Notarzt, der über Bild und Ton mit den Rettungswagen verbunden ist. Die Sanitäter können dann zum Beispiel auf Anweisung Medikamente verabreichen, auch wenn der Notarzt noch nicht eingetroffen ist. Wir waren die zweiten, die das in Deutschland eingeführt haben.
Auch eine Sepsis oder was die meisten von uns besser als Blutvergiftung kennen, ist ein Notfall, der jedoch nicht immer gleich als solcher erkannt wird.
Hahnenkamp: Das liegt an den recht unspezifischen Symptomen wie Herzrasen, Fieber, Atemnot, Kurzatmigkeit und ein generell starkes Krankheitsgefühl. Auslöser kann eine Wunde, aber eben auch ein simpler Mückenstich sein. Der Körper macht in solchen Fällen eine Abwehrreaktion. Die überreagiert aber sozusagen, alles geht irgendwie durcheinander, geht gegen den eigenen Körper vor, was eine hohe Sterblichkeit zur Folge hat. Deswegen führen wir einen regelmäßigen Sepsis-Dialog, um Laien wie Fachleute aufzuklären, dass auch das wirkliche Notfälle sind, in denen schnelles Handeln gefragt ist.
Haben Sie die Diskussion um die Zentralklinik in Georgsheil mitverfolgt?
Hahnenkamp: Die habe ich sehr aufmerksam mitverfolgt und denke, dass das eine gute Idee ist, weil Georgsheil ziemlich mittig zwischen Aurich, Norden und Emden liegt. Deswegen bietet sich das an. Selbst wenn es um planbare Eingriffe geht, müssen die Menschen in Ostfriesland momentan oft weite Wege in Kauf nehmen. Hinzu kommt, dass in der jetzigen Konstellation gewisse Weiterbildungsbefugnisse fehlen. Das wiederum führt zu Schwierigkeiten bei der Personalsuche. Bei uns in Greifswald investieren wir einiges in die Weiterbildung, was sich letztlich auch bezahlt gemacht hat. Wir haben uns jedenfalls den Ruf erarbeitet, dass man bei uns hervorragend arbeiten kann. Wichtig ist, nicht einfach nur ein neues Gebäude hinzusetzen. Das wird nicht ausreichen. Das hat man zunächst auch hier in Greifswald versucht. Alten Wein in den neuen Schlauch zu kippen, bringt allerdings herzlich wenig. Man muss dann auch bereit sein, alle Prozesse neu zu denken.