Ausgebildete Schauspielerin, die Schietwetter mag: Larissa Fichtner.Foto: dpa
Der größte Ansturm auf der ostfriesischen Insel Wangerooge ist vorbei. Seitdem die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu Ende sind, sind freie Strandkörbe am Hauptstrand keine Mangelware mehr. Larissa Fichtner hat trotzdem noch genug zu tun. Die 28-jährige Cuxhavenerin ist Strandwärterin auf der Nordsee-Insel - und die erste Frau, die diesen Traditionsjob ausübt. Zusammen mit ihren männlichen Kollegen vermietet sie Strandkörbe, übernimmt kleinere Reparaturen, überwacht das Sandburgen-Verbot, säubert den Strand und fegt die Stege, bevor morgens um 9 Uhr die erste Kundschaft kommt.
Zur Hüterin der 1300 Strandkörbe am Wangerooger Strand wurde sie vor rund einem Monat. Ihre Arbeitgeberin ist die Gemeinde, die ihr auch eine Wohnung stellt. „Mir war es nicht klar, dass ich die erste Frau in dem Job bin“, erzählt sie. Dass das so ist, bestätigt Wangerooges Inselchronist Hans-Jürgen Jürgens (96). Früher sei von den Strandwärtern viel Muskelkraft benötigt worden, um die schweren Körbe nach den Wünschen der Gäste zu verschieben oder wieder zurück an ihre vorgesehen Plätze zu bringen. Doch seitdem die Strandordnung ein Umstellen der Körbe verbietet, ist Kraft höchstens am Anfang und am Ende der Saison gefragt, wenn sie aufgestellt oder winterfest gemacht werden.
Larissa Fichtners Arbeitsplatz liegt an der unteren Promenade, gleich unterm „Café Pudding“, das hier jeder kennt. Vom Schreibtisch aus schaut sie mit einem Pott Tee neben sich auf den Strand, die vorbeifahrenden Containerschiffe und die Badegäste. Zuletzt hat die ausgebildete Schauspielerin in Berlin gelebt, davor in Leipzig und Mainz. „Ich hatte keinen Bock mehr auf Großstädte“, sagt Larissa Fichtner. Die vielen Menschen, der Lärm, der Verkehr, der Dreck - sie wollte nur noch weg. „Ich mag sehr gerne Ruhe und Raum für mich. Das hat man in Berlin eher nicht.“
Dazu kam, dass sie desillusioniert von der Schauspielerei war. „Theater ist sehr viel ‚Work‘ und sehr wenig ‚Life‘“, sagt sie. 50-Stunden-Wochen waren keine Seltenheit, nach Feierabend war die Energie weg, an Hobbys war nicht zu denken. „Ich habe meinen Traum von der Schauspielerei gelebt, jetzt ist Zeit für etwas anderes“, sagt sie.
Das Andere ist das Strandleben auf der autofreien Insel Wangerooge. Obwohl sie an der Nordseeküste in Cuxhaven aufgewachsen ist, war sie nie zuvor auf einer der sieben Ostfriesischen Inseln. „Wir waren früher zigmal im Harz. Aber was man vor der Nase hat, da fährt man nicht hin“, sagt sie. Ihr gefällt es so gut auf Wangerooge, dass sie nicht mehr weg will. „Ich brauche nie länger als zehn Minuten zu Fuß, um irgendwo hinzukommen“, sagt sie. „Tagsüber habe ich sehr viel Kontakt zu Menschen und abends nicht mehr. Das finde ich schön.“
Eins hat sie schnell gelernt: Die begehrtesten Strandkörbe sind die in der erste Reihe. „Es haben schon Gäste geweint, weil sie nur einen Strandkorb in der zweiten Reihe bekommen haben“, erzählt die Strandwärterin. Und noch was anderes weiß sie inzwischen: „Wenn Leute einen Strandkorb gemietet haben, dann sitzen sie darin bei jedem Wetter - stundenlang.“ Im Juni 1882 soll der erste Strandkorb in Warnemünde an der Ostsee aufgestellt worden sein. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er zum Massenmöbel an Nord- und Ostsee.
Larissa Fichtners Vertrag läuft Ende Oktober aus, wenn die Strandkorbsaison vorbei. Sie hofft auf einen Übergangsjob auf der Insel im Winter, so dass sie auf Wangerooge bleiben und im Frühjahr 2024 wieder als Strandwärterin arbeiten kann. „Dann wird der Strand für die Touristen wieder hergerichtet“, sagt sie. Vor einem grauen und nassen Winter auf einer menschenleeren Insel hat sie keine Angst. „Ich mag Schietwetter“, sagt sie.