Ein Abend zwischen Glockenklang und Geschichten im Brookmerland

Von Merlin Klinke

In kleiner gemütlicher Runde werden bei der Kirchengemeinde Rechtsupweg jeden Abend in der Adventszeit Geschichten verlesen und miteinander geklönt.

Nervös sitze ich in dem kleinen Vorleser-Sessel und warte darauf, dass ich anfangen kann. Meine Hände liegen auf den ausgedruckten Seiten, deren Reihenfolge ich mittlerweile dreimal geändert habe. „Wir warten erst die Glocken ab“, sagt Gertraude Vogel ruhig und mit einem Lächeln. „Das gehört dazu.“ Also warte ich. Und warte. Gefühlt läuten die Kirchenglocken an diesem Abend besonders lange. „Zum Nikolaus und am Adventssonntag spielen die Glocken noch länger“, sagt Vogel und ich fange an, mit den Beinen zu wippen.

Dabei ist der Geschichten-Adventskalender im Karkhuus eigentlich genau das Gegenteil von Nervosität. Mit stimmungsvollen Geschichten, gemeinschaftlichem Singen und einer ruhigen Atmosphäre begleitet er auch in diesem Jahr die Adventszeit der Kirchengemeinde. Vom 1. bis zum 23. Dezember öffnet sich hier jeden Abend um 18 Uhr im Sofazimmer ein neues „Türchen“. Kein lauter Trubel, kein Zeitdruck. Stattdessen ein kleiner, geschützter Raum zum Innehalten. Organisiert wird das Ganze von Gertraude Vogel und Wilma Fleßner, die mit viel Herzblut dafür sorgen, dass alles reibungslos läuft.

Zumindest einen dieser Abende wollte ich nicht nur als Zuhörer erleben. Ich wollte selbst vorlesen. Also brauchte ich eine Geschichte. Etwas Eigenes, etwas, das zum KURIER passt. Kurzerhand schrieb ich ein kleines, leicht schräges Weihnachtsabenteuer für meinen Kollegen Florian. Für alle Fälle packte ich mir noch bewährte Texte ein: „Seltsame Gestalten“ von Margret Küllmar, „Die Weihnachtsmaus“ von James Krüss und Loriots Gedicht „Advent“.

Als ich am Karkhuus ankomme, schließt Gertraude Vogel gerade erst die Tür auf. Im Sofazimmer ist es noch leer. Zwei Sofas, ein paar Stühle, eine große Schrankwand voller Bücher, ein Teppich, der mich an das Wohnzimmer meiner Großmutter erinnert. Für einen kurzen Moment frage ich mich, ob überhaupt jemand kommt. Ob vielleicht niemand dem „Neuen“ zuhören möchte. Doch ich unterschätze die Pünktlichkeit der Gemeindemitglieder gründlich: Punkt 18 Uhr sind fast alle Plätze besetzt, die Gespräche verstummen, die Aufmerksamkeit richtet sich nach vorne.

Nach dem letzten Glockenschlag und dem gemeinsamen Singen des ersten Liedes beginne ich mit „Die Weihnachtsmaus“. Ein Text, zum Warmwerden. Erst danach wage ich mich an meine eigene Geschichte. Sie kommt schneller aus mir heraus, als geplant, etwas holprig vielleicht, aber sie trifft ihr Ziel: Ich höre Lachen, sehe Schmunzeln, spüre Erleichterung. Als Abschluss folgt Loriot: Ein Gedicht über den Mord am Förster zu Weihnachten, diese emotionale Kurve, ist damit auch abgedeckt. Ein weiteres Lied, eine letzte Geschichte, dann ist es vorbei. Applaus. Eine Zuhörerin lächelt mich an und sagt: „Kannst gern nächstes Jahr wiederkommen“. Ein schöneres Kompliment hätte es kaum geben können.

Zum Abschied gibt es eine kleine Belohnung für die Anwesenden, wie jeden Abend: eine Christbaumfigur oder ein paar Süßigkeiten. Kleine Gesten, die den Abend abrunden. Genau darin liegt der Reiz dieses Adventskalenders: Kinder und Erwachsene sitzen dicht beieinander, hören zu, singen gemeinsam. Jeder Abend steht für sich, jeder ist offen. Und ich gehe mit einem beseelten Weihnachtsgefühl nach Hause.