Eine Schizophrenie bewahrt Täter vor dem Knast

Er führt ein trauriges Leben, sagt der Gutachter. Ein 26-jähriger stach einem anderen Mann unversehens mit dem Messer in den Rücken. Das Ergebnis einer nicht behandelten psychischen Krankheit.

Eine Schizophrenie bewahrt Täter vor dem Knast

Aurich Die lebensgefährlichen Messerstiche, die ein 26-Jähriger in Leer einem anderen Mann in den Rücken zufügte, werden den Beschuldigten wohl nicht hinter Gefängnismauern bringen. Der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert hatte keinen Zweifel daran, dass beim Beschuldigten zur Tatzeit eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vorlag. Der junge Mann leidet seit acht Jahren an einer schizophrenen Psychose, die nie richtig behandelt wurde.

Die Tat wird vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich verhandelt, weil sie von der Staatsanwaltschaft rechtlich als versuchter Mord bewertet wird. Der Beschuldigte hatte am 3. Oktober vergangenen Jahres einen 37-jährigen Mann an einem Kiosk in Nähe des Bahnhofs unvermittelt von hinten mit dem Messer attackiert.

In der Vorstellungswelt des 26-Jährigen aber war es eine Art der vorauseilenden Verteidigung. Der Angegriffene sei frech geworden und auf Krawall gebürstet gewesen, hatte der Beschuldigte dem Sachverständigen erzählt. „Ich wollte ihn nicht töten, ich wollte nur den Kampf gewinnen“, so seine Äußerung gegenüber dem Psychiater. Der Mann habe ein Auge auf ihn gehabt und ihm „in die Fresse“ hauen wollen. Dann wären ihm bestimmt Zähne ausgeschlagen worden, hatte der Beschuldigte vermutet.

Um seine Zähne ranken sich immer wieder Geschichten, die gelinde gesagt merkwürdig erscheinen. So hatte er einer Zahnärztin, die eine Kieferfehlstellung behandeln sollte, vorgeworfen, sie habe seinen Kiefer gebrochen, weil es sie sexuell erregt habe.

Der Sachverständige hatte in medizinischen Unterlagen nachgeforscht und festgestellt, dass beim Beschuldigten bereits 2015 erste Symptome für eine Schizophrenie auftraten. Es folgten zahlreiche Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken in Emden über Hamburg bis nach München. Nirgendwo wurde der junge Mann, der als drogenabhängiger Obdachloser durch Deutschland zog, sesshaft. Nirgendwo wurde seine Erkrankung nachhaltig behandelt. Das lag auch daran, dass er eine solche Behandlung aufgrund mangelnder Krankheitseinsicht ablehnte.

Bereits 2019 hatte Trabert den Beschuldigten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens begutachtet. „Nach dieser Begutachtung ist es nicht gut weitergegangen, sondern schlecht“, stellte der Sachverständige fest. Das traurige Leben des jungen Mannes war von Obdachlosigkeit, Armut und Drogenkonsum gekennzeichnet.

Dieses Leben würde der Beschuldigte aufgrund der Psychose auch wieder aufnehmen, wenn er nun in Freiheit käme, so der Sachverständige. „Die Krankheit ist wie eine Brille, durch die man die Welt sieht, und die man nicht abnehmen kann“, beschrieb der Gutachter die Situation.

Und die Prognose sei schlecht, weil sich die Erkrankung nach all den Jahren verfestigt habe. „Es kann auch in Zukunft zu ähnlichen Taten kommen“, prognostizierte der Sachverständige.

Der Prozess wird fortgesetzt. mari