„Erzählen Sie allen, wie schlimm die Bürokratie ist“
Die Chefin des Automobilverbandes Hildegard Müller: Heimspiel in der Autoregion Ostfriesland. Dabei: Frank Wessels (l) und Johann Doden vom Arbeitgeberverband Ostfriesland.
Emden Die erste Frage lautete: „Wer hier im Saal hat etwas mit der Automobilindustrie zu tun?“ Viele Hände gehen nach oben. Spätestens jetzt weiß die Frau aus Berlin, dass sie am richtigen, aber auch an einem sensiblen Ort ist. Hildegard Müller, oberste Wächterin über die Interessen der bundesdeutschen Automobilhersteller und -zulieferer, ist beim Arbeitgeberverband Ostfriesland zu Gast. Der garniert seine jährliche Mitgliederversammlung gern mit einem Promi aus nah oder fern.
Keine VW-Schelte
In Zeiten, da VW unter mangelnder Nachfrage ächzt, die Zulieferer Mitarbeitende in Kurzarbeit schicken oder gar entlassen, kam die Fachfrau gerade richtig. Doch wer VW-Schelte erwartet hatte („zu teuer!“, „nicht innovativ genug!“, „zu wenig Reichweite!“) wurde enttäuscht. „Ich sage hier nichts zu einzelnen Unternehmen“, sagte sie, um dann aber doch zu sagen: „Die Automobilindustrie hat der Region Ostfriesland Vollbeschäftigung gebracht.“ Doch um den Wohlstand und das Wachstum nun abzusichern, müsse einiges geschehen. Und die Automobilunternehmen seien es nicht, die jetzt am Zug seien. Schließlich investieren sie gerade 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung sowie 130 Milliarden in den Umbau der Werke.
Die Botschaft ist klar: Jetzt müssen erst mal andere ran.
Die Last der Bürokratie
Die Zuhörerinnen und Zuhörer horchen auf; sie alle sind Unternehmerinnen und Unternehmer und ächzen unter der Last von Bürokratie, gemacht in Berlin, in Hannover und in jeder Kommune.
Und die Frau Müller aus Berlin lieferte: Die öffentliche Verwaltung müsse endlich digitalisiert werden. Der Strom ist zu teuer. Die Freihandelsabkommen mit aller Welt kommen nicht voran, „dabei brauchen wir die dringend“, so Müller. Denn 70 Prozent der Produktion gehe ins Ausland. Die Schuldenbremse müsse weg angesichts einer Verdoppelung der Steuereinnahmen seit dem Jahr 2000. „Was machen wir eigentlich mit dem vielen Geld?“
Die Lobbyistin wäre keine Lobbyistin, wenn ihr dazu nicht etwas einfallen würde.
Man könnte damit zum Beispiel Ladesäulen bauen. Und bei diesem Thema läuft sie sich dann richtig warm. Selbst die Tiefgarage ihres eigenen Verbandes habe keine Ladesäule. Viele Stromnetze seien nicht darauf ausgelegt, den vielen Ladestrom zu transportieren. In 40 Prozent der Gemeinden in Deutschland gebe es keine einzige Ladesäule. In 80 Prozent keine Schnellladesäule. „Wir brauchen aber eine verlässliche Verfügbarkeit beim Laden“, sagt Müller.
Sie stehe zur E-Mobilität, auch zum Verbrennerverbot ab 2035, auch zur Entwicklung und Förderung von synthetischem Kraftstoff für alle, die sich kein teures E-Auto leisten können, und auch dazu, dass Verbrenner-Autos weiterhin produziert werden müssen – für alle Welt.
Müllers Vortrag wird immer wieder durch kurzen Applaus unterbrochen, hin und wieder hört man ein dahingestöhntes „Ja, genau so ist es!“ aus dem Publikum. Rednerin und Zuhörer – sie haben sich gesucht und gefunden. Und was macht man nun, in Ostfriesland, direkt vor Ort, wenn mal wieder alles ewig dauert bei den Behörden und es nicht vorangeht? „Laden Sie Ihre Abgeordneten ein, öffnen Sie Ihre Betriebe. Erzählen Sie allen, wie schlimm es bei Ihnen ist. Nur, wenn die es dann mit nach Berlin und Hannover nehmen, kann sich etwas ändern“, sagt Müller.
Applaus.