In Ostfriesland gibt es vorm Nikolaus Verknobelungen

Von Merlin Klinke

Im Mittelhaus gab es in den Würfelpausen kühle Getränke. Foto: Meret Edzard-Tschinke

Norden Vor einem dekorierten Tisch versammeln sich Erwachsene und Kinder gleichermaßen, ihre Blicke auf eine Torte gerichtet. Ein Mann hinter dem Tisch schwenkt einen Würfelbecher und ruft die magische Frage aus: „Wer will die Torte haben und macht mit?“ Ein enthusiastischer Chor aus „Ich!“, „Ich!“, „Ich!“ erklingt, und schon bildet sich eine Gruppe Würfelbegeisterter, die um die süße Versuchung wetteifert.

Mit jeder Menge Spannung verfolgen alle Teilnehmer das Würfelgeschehen. Derjenige mit der höchsten Zahl wird der glückliche Gewinner der köstlichen Torte. Doch das Glück hält Überraschungen bereit, wie ein kleines Mädchen und ein Mann herausfinden, als sie sich im Stechen befinden.

Der Würfelbecher wechselt die Hände, die Würfel rollen, und das Mädchen triumphiert mit 18 Punkten über die Konkurrenz. Strahlend nimmt es die Torte entgegen und trägt sie stolz zu ihrer Mutter.

Währenddessen hat sich bereits um einen weiteren Tisch schon wieder eine neue Traube gebildet, die auf einen großen Schinken hofft. Die jährlichen Verknobelungen sind in Ostfriesland eine Tradition, die am 5. Dezember, dem Sünnerklaasfest, am Vorabend des Nikolaustages, zelebriert wird.

Dieses Fest hat in der Region eine besondere Bedeutung, da es dem Schutzpatron der Seefahrer, Nikolaus, gewidmet ist. Erst nach der Reformation wurde er vom Weihnachtsmann als Gabenbringer verdrängt.

Die Verknobelungen haben ihre Wurzeln vor mehr als 100 Jahren in einem alten holländischen Seefahrerbrauch. Dieser geht auf ein germanisches Fest zu Ehren des Gottes Wotan zurück, das später vom christlichen Nikolausfest abgelöst wurde.

Die Spieltische finden sich in Bäckereien, Konditoreien, Gaststätten oder Vereinshäusern. Während des Spiels wird um Backwaren, Süßigkeiten, Fleisch, Wurst und gelegentlich auch um kleine Sachpreise gewür-felt.

Jeder Mitspieler setzt seinen Einsatz und hat einen Wurf. Die Spieleinsätze richten sich nach den Preisen. Gewürfelt wird in unterschiedlich großen Gruppen, traditionell mit drei Würfeln im Lederbecher. Der Spieler mit der höchsten Zahl darf seinen verdienten Preis mit nach Hause nehmen.

Da die Verknobelungen nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder ein großer Spaß sind, bieten viele separate Spielrunden für den Nachwuchs an. Hier winken attraktive Preise, die den Ehrgeiz der kleinen Spieler wecken. Doch auch die Erwachsenen lassen sich immer wieder aufs Neue mitreißen und so mancher Vater würfelt beharrlich weiter, bis er die begehrte Weihnachtsgans in den Händen hält.

In Ostfriesland ist das Verknobeln nicht nur eine Tradition, sondern eine fest verankerte, generationsübergreifende Quelle der Freude und Spannung in der Vorweihnachtszeit. kli