Jede Menge kleine Wanzen
Norderney Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt‚ ne kleine Wanze... Wohl jedes Norderneyer Kind kennt dieses Lied. „Sieh dir mal die Wanze an, wie die Wanze tanzen kann.“ Doch dieses Kinderlied ist fern jeder Realität. Bettwanzen tanzen nicht und lauern nicht auf Mauern, sondern eher in den Betten ihrer nächtlichen Opfer.
Bettwanzen waren in der modernen Welt eigentlich kein Thema mehr, bis vor wenigen Jahren das Umweltbundesamt auf eine massive Ausbreitung dieser Parasiten besonders in den USA und Australien hinwies. Auch in Deutschland würden sie zunehmend auftreten. Die Ausbreitung sei wohl auf den zunehmenden Tourismus, auf Migration und Handel zurückzuführen. Bettwanzen sind braune, flügellose Insekten und werden etwa fünf Millimeter groß. Ihr äußerst flacher Körper ermöglicht es ihnen, sich in den feinsten Ritzen und Spalten des Bettgestells zu verstecken, auch hinter Bilderrahmen, Fußleisten und losen Tapeten. Nachts kommen sie aus ihren Verstecken und stechen zu. Sie saugen so viel Blut, dass sie innerhalb von zehn Minuten ihr Gewicht verdoppeln. Bettwanzen sind nicht auf Menschen spezialisiert, sondern mögen auch das Blut von anderen Warmblütern wie Kaninchen und Tauben.
Finden sie einmal kein Opfer, dann können sie auch bis zu einem Jahr hungern. Dass Bettwanzen da sind, merkt man natürlich an ihren juckenden Stichen, daneben an dunklen, kleinen Kotflecken bei ihren Verstecken und bei stärkerem Befall an einem typischen Geruch im Raum. Diesen Geruch kannte auch schon Heinrich Heine, denn er schrieb: „Der schrecklichste Kampf auf Erden ist der Kampf mit Ungeziefer, dem Gestank als Waffe dient, ist das Duell mit der Wanze.“
Offen bleibt dabei, ob Heine damit wirklich das Insekt meinte, denn die Bezeichnung „Wanze“ wurde und wird auch als Bezeichnung für gewissenlose, hinterhältige Zeitgenossen verwandt. Und wenn jemand plump versucht, sich bei einem anderen Menschen anzubiedern, dann heißt es auch, dass er sich „anwanzen“ wolle.
Wenn lästiger Besuch nicht abreisen will, hat er sich „eingewanzt“. In einem anderen Zusammenhang erkannte Heine: „Es saß ein brauner Wanzerich auf einem Pfennig und spreizte sich: Wer Geld hat, ist auch lieblich und schön, es kann kein Weib ihm widerstehn.“
Bertolt Brecht beklagt sich über seine alltäglichen Probleme: „Den Tigern entrann ich. Die Wanzen nährte ich. Aufgefressen wurde ich von den Mittelmäßigkeiten“ oder noch deutlicher: „Den Haien entrann ich. Die Tiger erlegte ich. Aufgefressen wurde ich von den Wanzen.“ Paul Shipton schrieb den Insektenkrimi „Die Wanze“, und unter dem gleichen Titel berichtet W. Majakowski in einer Komödie über einen eingefrorenen Ehemann. Bei Ringelnatz heißt es „Die Fliege hat zur Wanze gesprochen. Leih mir doch eine Maß Blut. Ich habe den Bürgermeister gestochen, aber der roch nicht gut.“ Auch Geheimdienste interessieren sich für Wanzen – allerdings eher in Form von heimlichen Abhöranlagen. Bei Goethe sieht sich Mephisto als „Herr der Ratten und der Mäuse, der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse...“ Goethe trat daneben schon vor zweihundert Jahren für Artenvielfalt in der Natur ein: „Die Flöhe und die Wanzen gehören auch zum Ganzen.“ Neben Goethes Wanzen gibt es auch „Schillerwanzen“. Diese haben allerdings nichts mit dem Dichter zu tun. Es handelt sich um eine Baumwanze, die von Pflanzensäften lebt und für den Menschen völlig ungefährlich ist. Bettwanzen und Schillerwanzen sind nur zwei Vertreter einer unglaublich großen, bunten und vielseitigen Wanzenwelt, von der in Deutschland fast 900 Arten vorkommen. Sie leben zumeist von Pflanzensäften, aber einige wenige ziehen tierische Kost vor.
Manche Arten leben in Flüssen und Seen, einige sogar im Meer. Der auch auf Norderney vorkommende Wasserläufer ist so leicht, dass er auf dem Wasser herumläuft und nach Beute sucht. Auf Norderney sind bisher 151 Wanzenarten nachgewiesen worden.