Klassenzimmer von 1904: Wie Norder Abiturienten vor 120 Jahren feierten

Von Werner Jürgens

Blick in den Nachdruck: „Büffeln“ bis der Kopf raucht war auch schon anno 1904 angesagt.

Norden Wie waren die Abiturienten vor 120 Jahren in Ostfriesland so drauf? Das kann man jetzt buchstäblich im Original nachlesen. Christine Schmutzler-Schaub hat eine von Norder Abiturienten anlässlich deren Reifeprüfung erstellte Abi-Zeitung aus dem Jahr 1904 als Neuauflage drucken lassen. Das dafür erforderliche Prozedere war durchaus aufwendig, da die Vorlage in Kurrentschrift verfasst wurde. Und die musste erst aufwendig transkribiert werden. Das fertige Heft enthält jetzt die ursprünglichen Texte mit den Übersetzungen auf der jeweils gegenüberliegenden Seite. Ergänzend dazu gibt es jede Menge Hintergrundinformationen nebst zeitgenössischen Postkarten, Fotos und Dokumenten.

Wertvoller Zufallsfund

Dass sich die im Internet ersteigerte „alte Norder Festschrift“ als Abi-Zeitung von 1904 entpuppte, bemerkte Christine Schmutzler-Schaub erst, als sie die Lieferung auspackte. Umso größer war die Freude. Hatte doch auch sie genau wie mehrere aus ihrer Familie einst im Norder Ulrichsgymnasium die Schulbank gedrückt.

Die Festschrift lag lange bei der 58-jährigen Medizinerin in der Schublade, bis sie wegen einer durch eine Ellenbogenverletzung bedingten Arbeitsunfähigkeit endlich Muße fand, sich etwas intensiver mit dem Heft und dessen Inhalt zu befassen. Sie scannte die Texte mit Transkribier-Programmen und kontaktierte im Netz Gruppen, die sich mit Norder Stadtgeschichte, alten Schriften und Kirchenbuchlatein beschäftigen. Erschwerend kam nämlich hinzu, dass einige Passagen auf Latein und Plattdeutsch waren.

„Manche Dinge haben sich gar nicht so sehr verändert“, meint Christine Schmutzler-Schaub, die 1985 ihr Abitur am Ulrichsgymnasium gemacht hat. „Das war für mich mit eine Motivation, das Heft nachzudrucken.“ In der Tat standen bei den Schülern schon damals die „klassischen“ Teenager-Themen „Wein, Weib und Gesang“ im Vordergrund. „Drum vergnügt die Gläser winken, trinken lasst uns, Kinder, trinken“, heißt es gleich zu Beginn der Festschrift in einem „Begrüßungslied“.

Die Lehrer mussten sich kräftigen Tadel gefallen lassen, wie folgender Auszug verrät: „Herr Heindrichs meint gut es, dran zweifeln wir nicht. Doch hassen wir sehr seine Lehre. Denn jegliche Stunde fast sprach er von Pflicht und immer von Fleiß und von Ehre.“ Laut Stundenplan unterrichtete besagter Oberlehrer Heindrichs seinerzeit am Ulrichsgymnasium Turnen sowie Englisch und Französisch. Deutlich mehr Gewicht hatten jedoch die Altsprachen Griechisch und Latein. Homer und Horaz tauchen sogar als eigenständige Fächer auf. Das schlägt sich ebenfalls in der Abi-Zeitung nieder, die sich in einem Text ironisch mit Horaz und dessen Schulzeit auseinandersetzt.

Männerveranstaltung

Neben verschiedenen Postkartenansichten hat Christine Schmutzler-Schaub das Schülerverzeichnis von damals aufgestöbert und in ihrem Nachdruck berücksichtigt. Die Zahl der Abiturienten bewegte sich in einem überschaubaren Rahmen. Insgesamt haben zu Ostern 1904 lediglich sechs Jungen am Norder Ulrichsgymnaisum ihre Reifeprüfung abgelegt. Mädchen durften das dort erst ab 1928. Darüber hinaus hat Christine Schmutzler-Schaub den weiteren Lebensweg der Norder Abiturienten recherchiert, wiederum mit interessanten Ergebnissen. Drei der sechs Schüler haben demnach Jura und zwei von ihnen klassische Philologie studiert.

Besonders gut dokumentiert ist die Biografie von Johannes Fraesdorff, der sich für ein Medizinstudium entschied und ab 1937 als Arzt auf Borkum praktiziert hat. Über ihn gibt es im Auricher Landesarchiv Personalakten, aus denen hervorgeht, dass er trotz NSDAP-Mitgliedschaft nach dem Zweiten Weltkrieg als entlastet galt und 1953 mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde.

Die Neuauflage der Norder Abi-Zeitung von 1904 umfasst 60 Seiten in HD-Qualität und ist wie das Original auf 200 Gramm schwerem Papier gedruckt. Wer sich für ein Exemplar interessiert, kann das Heft zum Selbstkostenpreis von elf Euro (Verpackung und Versand inklusive) bei Christine Schmutzler-Schaub unter folgender E-Mail-Adresse bestellen: christine.gerd@t-online.de.