Kolumne von Carsten Tergast: Der Sünnerklaas kommt
Adventsstimmung auch in Lütetsburg. Die Nussknacker in Lebensgröße bewachen den Eingang.. Fotos: Martin Stromann
Bald ist Nikolaustag. „Sünnerklaas, du gode Bloot / Geef mi’n Stückje Sükkergood / Neet to vööl un neet to min / Smiet mi’n man to’d Schösteen in.“
Wie in diesem Kinderreim angedeutet, freuen die Kinder sich – nicht nur in Ostfriesland – rund um den 6. Dezember auf Süßigkeiten und kleine Geschenke. Die bringt landauf, landab der Nikolaus. Das ist auch in Ostfriesland so, und doch auch wieder nicht. Denn hier kommt der Sünnerklaas.
Der Weihnachtsmannist noch jung
Den Weihnachtsmann kennen wir alle. Am 24. Dezember steht er auf der Matte, hoffentlich mit einem großen Sack voller Geschenke. Das war schon immer so. Oder? Nun, in Ostfriesland ist die Sache mit dem Weihnachtsmann eine relativ junge Tradition, denn die Nähe zu den Niederlanden sorgte hier in der Vergangenheit dafür, dass man sich an anderen Gepflogenheiten orientierte und bereits am 5. Dezember das große Fest mit Bescherung und allem Drum und Dran feierte.
Sinterklaas heißt das bei unseren westlichen Nachbarn, woraus in Ostfriesland der Sünnerklaas wurde. Die Niederländer nennen ihn zärtlich „Sint“. Mitte November bereits, so will es die Sage, macht der Sinterklaas sich von Spanien aus auf den Weg Richtung Nordseeküste. Mit dabei auf seinem Schiff: Die „Zwarten Pieten“, seine zwei Gehilfen. Wenn das Trio in den Niederlanden angekommen ist, so der Mythos, macht es sich auf den Weg, um in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember die Kinder reich zu beschenken. Der Sinterklaas reitet dabei auf einem prächtigen Schimmel und die Pieten verteilen die Gaben. Bis heute wird aus dieser Tradition heraus in den Niederlanden das große Weihnachtsfest mit Bescherung, Festessen und allen Feierlichkeiten bereits am 5. Dezember begangen.
Das ist zwar in Ostfriesland nicht so, doch auch hier kommt der Sinterklaas. Am 5. Dezember legt er zum Beispiel traditionell im Emder Binnenhafen mit dem Schiff an und beschert dort die wartenden Kinder. Am Hafentor wartet bereits der Schimmel, mit dem er dann in die Stadt reitet.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch in Ostfriesland lange Zeit dem Sünnerklaas größere Bedeutung beigemessen wurde als dem Weihnachtsmann. In der Nikolaustradition, den Stiefel nach draußen zu stellen, ist noch heute die alte Sitte erkennbar, dem Sünnerklaas eine Scheibe Schwarzbrot, ein Grünkohlblatt sowie einen Kluntje auf einen Teller zu legen, um damit sein Pferd zu versorgen.
Erst mit dem steigenden lutheranischen Einfluss fixierte man sich auch in Ostfriesland mehr und mehr auf den 24. Dezember als Termin für das Weihnachtsfest. Zuvor hielt sich die Sünner-klaas-Tradition hartnäckig. In den Tagen und Wochen vor dem 5. Dezember stieg die Spannung bei den Kindern unablässig und man sang Lieder wie das eingangs zitierte „Sünnerklaas, du gode Bloot…“ Wer mit besonders lieben Eltern gesegnet war, dem konnte es durchaus passieren, dass schon Tage vor Sünnerklaas an einem schwarzen Zwirnfaden durch den Schornstein ein paar kleine Gaben in das Haus herabgereicht wurden. Wo das nicht möglich war, wurden einfach ein paar Geschenke in einer abgelegenen Ecke des Hauses deponiert.
Die eigentliche Bescherung fand jedoch am Abend des 5. Dezember statt. Der Sünnerklaas selbst musste für die Kinder ein Mythos bleiben, also ließ er sich natürlich nicht höchstpersönlich blicken, sondern überließ das Überreichen der Geschenke den „Zwarten Pieten“. Diese zogen von Haus zu Haus, klopften an die Fenster und fragten die Eltern, ob denn die Kinder auch brav gewesen seien. Vorher durften sie bereits „upsetten“, also Brot, Grünkohl und Zucker bereitstellen.
„Upsetten“ im
ganzen Ort
Besonders vorteilhaft für die Kinder war die Sitte, außer bei den Eltern auch bei den Großeltern, Verwandten, Nachbarn und Bekannten im Ort „upsetten“ zu dürfen, um auch dort das eine oder andere kleine Geschenk zu bekommen. Die Geschenke selbst wurden auf ein sogenanntes Präsentierbrett gelegt.
Die ausgefallenste Sünnerklaas-Tradition in Ostfriesland hält sich bis heute auf Borkum, wo nach wie vor der Klaasohm gefeiert wird, ein wildes Spektakel, das ein wenig aus der Zeit gefallen scheint, aber vielleicht gerade deshalb seine Faszination nicht verloren hat. Sechs unverheiratete Männer verkleiden sich mit einem sogenannten Scherbellenskopp, einem mit Schafspelz überzogenen und mit Möwenflügeln geschmückten Helm, der recht furchterregend aussieht. Ein siebter Mann verkleidet sich als „Wievke“, angetan mit Hemd, Rock und Schürze. Das Wievke trägt eine Maske aus Seehundfell. Die sechs Klaasohms bilden drei Paare und ziehen nun über die Insel, um junge Frauen zu finden, die sich getraut haben, das Haus zu verlassen. Diesen darf dann mittels eines mitgeführten Kuhhorns ein Schlag verpasst werden. Kinder, die den drei Klaasohm-Paaren begegnen hingegen, werden mit Süßigkeiten versorgt. Am Abend findet das Fest seinen krönenden Abschluss, wenn sowohl die sechs Klaasohms als auch das Wievke auf eine Litfaßsäule klettern und sich mit einem gewagten Sprung in die johlende, um die Säule versammelte Menge fallen zu lassen.
Die wohl bis heute bekannteste Sünnerklaas-Sitte ist das Verknobeln, das am Vorabend des 6. Dezember an vielen Orten in Ostfriesland stattfindet. Für die Verknobelung braucht es nicht viel: Drei Würfel, einen Platz, an dem diese geworfen werden können, einfache Spielregeln und ausreichend Preise für die Gewinner. In einigen Gegenden ist es Tradition, die Würfel in einer flachen Zinkwanne zu werfen, was in dem alten Spruch „Achttein in de Balje“ (Frei übersetzt „18 (Punkte) in der Wanne“) zum Ausdruck kommt.
Für einen geringen Einsatz darf jeder Spieler sein Glück versuchen, mit den drei Würfeln der Höchstpunktzahl von 18 möglichst nah zu kommen. Für die Gewinner gibt es Süßigkeiten, Würste oder auch schon mal eine ganze Ente. Entstanden sein soll die Tradition des Verknobelns durch einen Brauch holländischer Seefahrer. Diese bekamen am Sinterklaas ihrer Heuer ausgezahlt und hatten in der Folge nichts Besseres zu tun, als dieses Geld gleich wieder zu verspielen.
So ist rund um den 6. Dezember und das Nikolausfest einiges los in Ostfriesland, das die Wartezeit auf den Heiligabend verkürzt und versüßt. Und der eine oder andere beginnt vielleicht auch schon über den passenden Weihnachtsbaum nachzudenken. Das ist in Ostfriesland noch gar nicht so lange Tradition, wie man denken könnte. Doch darum wird es in der kommenden Woche an dieser Stelle gehen. Bleiben Sie gespannt!