Mordfall Hage: Angeklagter verweigert notwendige Therapie

Von Martina Ricken

Der Angeklagte vor Gericht. Foto: Ute Bruns

Hage Ein 32-Jähriger aus Hage soll in der Nacht vom 20. auf den 21. Januar eine 65-jährige Frau in ihrem Haus in Hage mit großer Brutalität durch Messerstiche und stumpfe Gewalt getötet haben. Er ist vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich wegen Totschlags angeklagt. Was im Kopf des Angeklagten vorging, falls er die Tat begangen haben sollte, konnte auch der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert nicht sagen. Denn der Angeklagte erzählte ihm zwar Einzelheiten über früheres psychotisches Erleben, klammerte aber das Wochenende der Tat völlig aus. Dennoch war für den Gutachter klar, dass der Angeklagte schon seit einigen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie leidet und ohne Behandlung weitere schwerwiegende Taten möglich seien. Er empfahl die Unterbringung in einer forensischen Klinik.

Der Sachverständige zeichnete das Leben des Angeklagten nach, der schon im jugendlichen Alter Straftaten beging. Wichtiger war aber die Entwicklung der Erkrankung, die im Jahr 2019 begann. Erstmals war der Angeklagte 2011 in einer Klinik vorstellig geworden und klagte über Angstzustände. Die Ärzte nahmen ihm seine Angaben nicht so richtig ab und hatten die Vermutung, dass der Hager damals auf diese Weise einer Inhaftierung entgehen wollte.

In der Haft 2019 zeigten sich dann erste Anzeichen einer schizophrenen Psychose. „Der Angeklagte saß nachts in der JVA in einem Schrank und schrie. Seiner Mutter erzählte er im Telefonat, dass ihn ein Strahl getroffen habe“, berichtete der Psychiater. Die Symptome hätten sich aber gelegt, sodass er am Ende ohne weitere Maßnahmen entlassen wurde. Die Einnahme von Medikamenten hatte der Angeklagte abgelehnt.

Diese beiden Sachverhalte – das Fehlen rigoroser Maßnahmen mit durchgängiger Behandlung und das Verweigern beziehungsweise eigenmächtige Absetzen von Medikamenten zog sich wie ein roter Faden durch die weitere Entwicklung. Die Symptome, in Form der psychotischen Vorstellungen wurden immer schlimmer und mündeten womöglich in der Tragödie des grausamen Todes der Frau aus Hage.

Unter den Symptomen litt der Angeklagte, aber insbesondere auch andere Menschen, die in seine wahnhafte Welt einbezogen wurden. So hatte der Angeklagte die Vorstellung, dass er durch Satelliten beobachtet und das Landeskriminalamt ihn verfolgen würde. Vor allem eine Frau, die er aus Schulzeiten flüchtig kannte, wurde zum dauerhaften Feind auserkoren. Als er dann auch noch drohte, das Kind eines Nachbarn zu töten, erfolgte die erste Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Erstmals wurde dabei die paranoide Schizophrenie diagnostiziert.

Doch dieser Aufenthalt währte nur kurz. Das Stalking ging danach weiter. Es folgte eine Bombendrohung gegen den Münchener Flughafen und der körperliche Angriff auf die eigene Mutter.

Als er obdachlos wurde, lernte der 32-Jährige die 65-jährige Hagerin kennen, die er im Januar getötet haben soll und fand bei ihr sogar einige Zeit Unterkunft. „Er sagte, es habe zwischen ihnen keine Unstimmigkeiten gegeben. Er könne nicht der Täter sein, das würde nicht zu ihm passen“, rekapitulierte der Gutachter sein Gespräch mit dem Angeklagten. Der Gutachter vermutet aber, dass die Tat Folge eines eruptiven Ausbruchs der Psychose war. Denn die Erkrankung habe immer bestanden und bestehe noch jetzt, auch wenn der Angeklagte oft für Außenstehende normal wirken würde. „Es besteht ein religiöser Wahn, in dem ein Gott Johannes, der Teufel und Schrecken der Menschheit, ihn mehrfach in die Hölle geschickt habe“, erläuterte der Gutachter das Innenleben des Angeklagten. „Der Angeklagte sei der Gegner des Teufels. Er höre Stimmen und erlebe, wie seine Gedanken ‚aus dem Oberstübchen‘ herausgenommen und andere eingefügt werden.“ In der Hölle habe er unfassbare Qualen erlitten, berichtete der Angeklagten dem Psychiater. Krankheitseinsicht bestehe nicht. „Die Satellitenüberwachung und das Götteruniversum sind ständig vorhanden“, fuhr der Sachverständige fort. „Seine Überzeugungen sind immer wieder mit starken Emotionen verbunden. Das macht sein Leid aus, aber auch seine Gefährlichkeit.“

Der Prozess wird fortgesetzt.