Norder Kunsthaus: Den Moment entdecken
Norden Sie wirbeln um- und ineinander, sie verschlingen sich, werden zu Blasen und Ringen, zu Tupfen und großen Flecken oder zu verschwindend kleinen Pünktchen im Nichts. Farben verbreiten sich auf großer Leinwand oder tauchen unter eine der vielen Schichten. Formen lassen Raum für Phantasie und Träume, für Ideen und Inspiration. Diese Bilder laden ein, sie zu durchdringen und zu hinterfragen, zu analysieren. Oder aber auch: sich nur an ihren bunten Farben zu erfreuen, an Sommerfrische und Leichtigkeit, Transparenz und Abstraktion.
Viele Gäste wollten die Kunst von Yuki Inoue am Sonntag im Norder Kunsthaus kennenlernen, selbst Besucher aus Berlin waren eigens angereist, um die Arbeiten des Künstlerkollegen an einem für sie bisher unbekannten Ort zu sehen und neu zu entdecken.
Moin!
Der Künstler selbst wusste schon, wie man sich in Norden begrüßt. Und gab sich – ganz, wie man hierzulande Japaner wahrnimmt – sehr zurückhaltend und bescheiden. Es sei das erste Mal, sagte Inoue, dass er bei einem privaten Kunstverein ausstelle. Seine Bilder auf Reisen geschickt mit der Post – und nun hängend auf zwei Etagen im Kunsthaus, das ihre Farbimpressionen dankbar aufnimmt und bei einfallendem Sonnenlicht noch einmal mehr zum Leuchten bringt.
Zwischen Ebbe und Flut
Künstlerkollege Bernard Föll erläuterte den Ausstellungstitel, stellte seinen Freund vor, der aus einer japanischen Küstenstadt stammt. Fukuoka ist zwar um ein Vielfaches größer als Norden, aber eben auch dem Wasser sehr nah. Föll schlug den Bogen zur Tide an der Nordseeküste, sprach von Momenten, die in Inoues Kunst zum Vorschein kämen. Und fragte dann: „Welche Momente?“ Philosophierte vor den zum Teil sehr großformatigen Werken, gesprenkelt und betupft mit Öl- und Acrylfarbe, mit Kohle, Kreide, Eitempera und Buntstiften, aber auch mit Kaffee, Blattsilber, japanischer Sumi-Tusche und japanischem Gofun-Weiß, über diese Momente. Lud das Publikum ein, in und mit Inoues Arbeiten selbst zu sinnieren – die Momente, bevor die Flut kommt und das Momentum kurz darauf verschwindet? Oder jene, wenn die Ebbe einsetzt und es gerade hervorbricht?
Ohne Entwürfe
Kontraste – Yuki Inoue verarbeitet sie auf seine ganz eigene Art und Weise. Er hat Kunstpädagogik und Kunstgeschichte studiert, er nähert sich auch solchen Momenten nicht nur einen Moment lang, sondern nimmt sie zum Anlass, mit ihnen zu arbeiten. Holt sich Inspiration, so erklärte es auch Föll, aus Momenten unterschiedlichster Art.
Das könne das Material sein, das zur Verfügung steht. Auch das Werkzeug, es könnten aber auch Reste von Plakaten irgendwo in der Stadt sein oder Impulse aus der (Kunst-)Geschichte.
Inoue arbeite oft ohne Entwürfe, allenfalls mit groben Vorstellungen und gebrochenen Formen, ergänzte der Laudator und forderte das Eröffnungspublikum zur Entdeckungsreise der vielen verarbeiteten Schichten auf. Man müsse sich versenken, sagte er, sich „zeitlose Zeit“ nehmen und „zeitlos das Rauschen der Ewigkeit“ in den Arbeiten wahrnehmen. Allein Fölls Wahl der Begrifflichkeiten inspirierte die vielen Gäste, die vor etlichen Bildern verharrten und anhand von Farben und Formen Verschiedenstes entdeckten und sich, vermischt mit eigenen Gedanken, weiter ausmalten. Allesamt Sommerträume, mal freudig, mal melancholisch angehaucht, die Yuki Inoue den Nordern bis zum 17. September im Haus des Norder Kunstvereins überlässt. ish