Ostfriesland: Angeklagter hört Stimmen in seinem Kopf

Von Martina Ricken

In der Regel wird Justitia mit verbundenen Augen dargestellt. Hier aber schaut sie skeptisch. Foto: dpa

Der 30-Jährige aus Wittmund, der am 23. Mai seine Eltern in der gemeinsamen Wohnung mit einem Messer angegriffen und erheblich verletzt hat, ist schwer psychisch krank. Das teilte der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich mit. Der Wittmunder ist wegen versuchten Totschlags und anderer Körperverletzungsdelikte angeklagt.

Der Angeklagte leidet an einer halluzinatorisch-paranoiden Schizophrenie und das schon seit Jahren. „Der Bruder berichtete, dass die Psychose auch schon im Iran aufgetreten sei“, berichtete der Gutachter. Ob der 30-Jährige damals behandelt wurde, blieb unklar.

Sicher ist aber, dass der Angeklagte mehrfach in psychiatrischer Behandlung war, seit er 2015 mit seinen Eltern nach Deutschland kam. Die Einweisungen erfolgten jeweils nach körperlichen Übergriffen gegen seine Eltern. Aber auch seine nach islamischem Recht angetraute Frau soll 2019 Opfer geworden und ins Frauenhaus geflohen sein. „Er soll seine Frau grün und blau geschlagen haben“, zitierte der Sachverständige aus Unterlagen, die ihm zugänglich gemacht wurden. Damals hatte der Angeklagte gegenüber den Ärzten berichtet, dass er seit acht Monaten Stimmen höre, die ihm sagten, dass seine Frau ihn nicht liebe.

Im selben Jahr soll es bereits einen ersten Messerangriff gegen die Eltern gegeben haben. Stimmen hätten ihm befohlen, seine Eltern, mit denen er immer wieder im Streit lag, umzubringen, soll der Angeklagte seinerzeit geschildert haben.

Das war im Wittmunder Fall anders. Der Angeklagte sei zur Tatzeit mit Sicherheit aufgrund seiner Erkrankung nur vermindert schuldfähig, seine Schuldfähigkeit aber nicht komplett aufgehoben gewesen, meinte Wolfgang Trabert. Akute psychotische Symptome seien nämlich nicht aufgetreten. Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger berichten lassen, dass er ein Telefonat seines Vaters mitangehört habe. Darin sei es darum gegangen, dass der 30-Jährige aus der elterlichen Wohnung ausziehen solle. Darüber sei er in Wut geraten, hieß es in der Einlassung. An den eigentlichen Tathergang will der Angeklagte keine Erinnerung haben.

Dass die Erkrankung aber wohl auch an diesem Tag aktiv war, lässt sich aus den Schilderungen einer Polizeibeamtin schließen. Sie befand sich eine kurze Zeit allein mit dem Angeklagten vor dem Haus, als die Polizei zu dem Einsatz gerufen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass der Angeklagte der Beschuldigte ist. Der Wittmunder sei ganz ruhig gewesen. Dann habe er sie plötzlich angesprochen und gesagt, es sei nicht okay, wie sie mit ihm rede, schilderte die Streifenbeamtin die Situation. „Aber ich habe gar nichts gesagt. Es war auch sonst niemand in der Nähe“, sagte die Beamtin aus.

Der Sachverständige erklärte, dass es äußere und innere Anlässe für die Aggressionsschübe des Angeklagten geben könne. „Wir wissen nicht, was er in dem Moment in seinem Kopf gehört hat“, so der Gutachter. Sicher sei aber, dass vom Angeklagten eine Gefahr nicht nur für die Eltern ausginge. „Wenn er in einer Asylbewerberunterkunft leben würde, gäbe es dort auch Auseinandersetzungen“, war der Sachverständige überzeugt.

Wie unvermittelt eine solche Attacke erfolgen kann, hatte der Vater des Angeklagten gegenüber dem Wittmunder Ermittlungsrichter geschildert. Der Vater lag auf der Couch, als der Angeklagte hereinkam und ihm ins Gesicht stach. „Der Vater war von dem Angriff völlig überrascht“, erinnerte sich der Richter am Wittmunder Amtsgericht, der als Zeuge geladen war. Als die Mutter ihren Sohn wegziehen wollte, wurde auch sie mit dem Messer in Hals und Kopf gestochen. „Der Vater und die Mutter sprangen vom Balkon“, hatte ein Nachbar beobachtet. Sie fanden Schutz vor dem Sohn, der sie verfolgte, bei einem anderen Nachbarn.

Der Sachverständige plädierte für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Prozess wird fortgesetzt.