Gericht ist überzeugt: Die Eltern sollten sterben

Von Martina Ricken

Der Täter ist eine Gefahr für die Allgemeinheit, deswegen verurteilte das Gericht den 30-Jährigen zu einer langen Freiheitsstrafe - und zur Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik.

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts in Aurich hat entschieden. Foto: Ute Bruns

Wittmund Der Messerangriff, den ein 30-jähriger Wittmunder am 23. April gegen seine Eltern verübte, erfolgte mit Tötungsabsicht. Zu diesem Schluss kam die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich und verurteilte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Das Gericht ordnete zudem die Unterbringung des an einer paranoiden Schizophrenie erkrankten 30-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Häufiger Streit im Elternhaus

Der Angeklagte lebte mit seinen Eltern in einer gemeinsamen Wohnung in Wittmund. Immer wieder gab es Streitigkeiten. Die Mutter kritisierte den hohen Zigarettenkonsum ihres Sohnes, der Sohn wiederum machte seinem Vater Vorwürfe, weil der ein angebliches Erbe im Iran nicht geltend machte.

Auch am 23. April gab es Streit, der so laut war, dass sogar die Nachbarn es hörten. Mit einem Messer ging der Angeklagte schließlich auf seine Eltern los, die sich im Wohnzimmer auf der Couch aufhielten. Er habe gehört, wie seine Eltern sich darüber unterhielten, dass er aus der Wohnung ausziehen solle und sei darüber in Wut geraten, hatte der 30-Jährige über seinen Verteidiger erklären lassen. Er habe seinen Vater schlagen wollen, ihn aber versehentlich mit dem Messer verletzt, das er zum Obstschälen in der Hand gehalten habe, so die weitere Einlassung. „Das kaufen wir dem Angeklagten nicht ab“, stellte Richter Björn Raap klar.

Gegen die Darstellung des „Versehens“ sprach schon das Verletzungsbild. Den Vater trafen fünf Schnitte an Kopf, Gesicht und Hals. Einer durchtrennte die Wange.

Die Eltern flüchteten sich

ins Nachbarhaus

Als die Mutter ihren Sohn vom Vater wegziehen wollte, wurde auch sie mit vier Schnitten im Gesicht attackiert. „Das waren äußerst gefährliche Gewalthandlungen gegen die Eltern“, betonte der Schwurgerichts-Vorsitzende. Er bezog sich auf Ausführungen des Rechtsmediziners Benedikt Vennemann, der die Gefahr der Verletzung großer Blutgefäße und damit des schnellen Verblutens anschaulich dargestellt hatte. Die Eltern hatten sich in ein Nachbarhaus geflüchtet. Der Sohn verfolgte sie, kam aber dank geschlossener Haustür nicht mehr an sie heran. Die Kammer wertete die Tat deshalb als fehlgeschlagenen Versuch des Totschlags.

Die Einsichtsfähigkeit sei beim Angeklagten zur Tatzeit nicht aufgehoben gewesen, so der Vorsitzende. „Der Grundsatz ‚Du sollst nicht töten‘ gilt für alle Kulturen“, sagte Richter Raap dem Iraner. Allerdings sei der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung in der Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. „Die über Jahre mangelnde Behandlung hat zu einer Persönlichkeitsveränderung geführt“, bezog sich der Vorsitzende auf das psychiatrische Sachverständigen-Gutachten von Wolfgang Trabert. Das führe zur Affektarmut und mangelnder Empathie, aber auch zu mangelnder Impulskontrolle, wenn der Angeklagte in Wut gerate.

Auch wenn bislang immer die Eltern Ziel von gewalttätigen Angriffen des Angeklagten waren, sahen die Richter in ihm dennoch eine Gefahr für die Allgemeinheit. „In diesem Fall handelt es sich um häusliche Gewalt, um eine Beziehungstat“, erläuterte Richter Raap dem Wittmunder. „Aber es besteht die Gefahr, dass auch in einem anderen Rahmen für betreuende Personen eine Gefahr bestehen könnte. Sie sind nicht in der Lage, Ihre Impulse zu steuern.“

Da der Angeklagte keine Krankheitseinsicht und keine Behandlungsbereitschaft zeigt, sah die Kammer nur die Möglichkeit der Unterbringung in der forensischen Psychiatrie.