Ostfriesland: „Ich war starr vor Angst“

Von Martina Ricken

Im eigenen Haus überfallen zu werden, ist mehr als ein Albtraum. Das verdeutlichten vor dem Landgericht Aurich auf eindrucksvolle Weise die Aussagen von drei Menschen, denen genau das widerfahren ist. Sie alle wurden Opfer eines 33-jährigen Angeklagten aus Weener, der in Häuser eingestiegen ist, um an Geld für seine Drogensucht zu kommen.

Sehr klar in ihren Beobachtungen und ihrem Erinnerungsvermögen war eine 79-jährige Frau aus Weener. Sie hatte sich am 23. März im oberen Stockwerk ihres Hauses zu einem Mittagsschläfchen hingelegt, als es klingelte. Die Frau reagierte nicht, denn all ihre Freunde und Bekannten wussten um die Gepflogenheiten der Rentnerin. Wer etwas von ihr wolle, würde schon wiederkommen, dachte sie sich.

Doch der Mann an der Haustür machte sich nicht davon, sondern stieg im Gegenteil durch ein aufgehebeltes Fenster ein. Als die 79-Jährige Geräusche hörte, begab sie sich nach unten und sah sich unvermittelt dem Mann gegenüber, der sich im Esszimmer an ihrer Kommode zu schaffen machte. „Ich habe gefragt: ‚Was machen Sie da? Was wollen Sie?“, erzählte die Weeneranerin. Die Antwort des Mannes lautete: „Geld, Geld, Geld.“ Er nahm ihre Handtasche aus der Kommode und wollte mehr. Dabei hielt er eine Eisenstange hoch erhoben in der Hand.

Die Hausbewohnerin wollte fliehen, doch der Angeklagte hielt ihr von hinten den Mund zu und versperrte ihr den Weg. Im Gerangel stürzte die Seniorin auf die Treppe und zog sich diverse Blutergüsse zu. „Es braucht nicht viel, um mich zu Fall zu bringen“, sagte die leicht gehbehinderte 79-Jährige. Der Angeklagte habe ihr noch wie zur Hilfe die Hand hingehalten, habe dann aber doch das Haus verlassen. Er hatte 120 Euro erbeutet.

Der Angeklagte entschuldigte sich bei der Frau aus Weener. „Ich wollte Ihnen nicht wehtun. Ich war wie von Sinnen“, so seine Worte. Sie nahm die Entschuldigung an und sagte etwas, das ihn beschämen müsste: „Ich war starr vor Angst. Sehen Sie zu, dass Sie auf den rechten Weg gehen. Es lohnt sich.“

Immer noch erheblich traumatisiert waren ein 61-jähriger Zeuge und seine 86-jährige Mutter aus Bunde. Sie wurden mitten in der Nacht vom Angeklagten heimgesucht. Wieder hatte er geklingelt. Der Sohn wollte gerade nach unten gehen, als er einen schrecklichen und angsteinflößenden Lärm hörte. Der Angeklagte versuchte, die Glasscheibe an der Hintertür einzutreten. Es schien ihn nicht zu beeindrucken, als der 61-Jährige das Licht einschaltete. Auch seine Mutter war inzwischen in den Flur gekommen.

Um den 33-Jährigen zur Rede zu stellen, öffnete der Bunder die Tür. Sofort wurde er in den Flur geschubst – und sah in der Hand des Angeklagten eine Pistole. „Ich habe reflexartig danach gegriffen, Ich habe gedacht, der knallt uns alle ab. Aber dann dachte ich, das geht nicht gut aus. Er hatte den Finger am Abzug. Deshalb habe ich zurückgezogen“, sagte der emotional sehr angefasste Bunder. Daraufhin erhielt er sofort mit der Waffe einen Schlag gegen den Kopf, fiel zu Boden und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. „Ich habe gedacht, er hat ihm in den Kopf geschossen, als ich das ganze Blut sah“, sagte seine Mutter weinend aus.

Den Angeklagten tangierte das alles nicht. Er wollte Geld, mehr Geld als die 100 Euro, die die Mutter ihm gab. „Er sagte: ‚Wenn ich kein Geld kriege, töten die mich‘“, erzählte der 61-Jährige. Er hatte mehr Angst, dass seine Eltern vom Angeklagten getötet werden und schlich sich aus dem Haus zu den Nachbarn, um die Polizei zu rufen.

Für seine Mutter war es ein weiterer Schock, als ihr Sohn plötzlich fort war. Als auch der Angeklagte das Haus verlassen hatte, lief sie im Nachthemd nach draußen und rief um Hilfe. „Als der Angeklagte rausging, sagte er: ‚Ich wollte Ihnen nicht wehtun‘. Aber diesen Schock möchte ich nicht noch einmal erleben. In meinem Alter. Im Nachthemd.“

Der Prozess wird fortgesetzt.