Mit bemerkenswerter Dramaturgie war der zweite Verhandlungstag im Prozess um Schüsse inWestoverledingen versehen. Dem 38-jährigen Angeklagten wird zur Last gelegt, am 16. Oktober vergangenen Jahres drei Schüsse auf seine nach muslimischem Recht angetrauten Frau abgegeben und sie dabei verletzt zu haben. Die 25-Jährige nahm im Zeugenstand ihre Beschuldigung allerdings zurück. Ihr Mann sei unschuldig, wiederholte die zweifache Mutter mehrfach. „Ich bin schuld. Ich will, dass er wieder frei ist“, rief sie und brach immer wieder in lautes Weinen aus.
Die Geschichte um die Tat, die bislang als gefährliche Körperverletzung gewertet wird, klang etwas bizarr. Sie sei in einen anderen Mann verliebt gewesen. Den habe sie auf einem Markt kennengelernt, als sie bei ihm ein Kleid kaufen wollte, Er habe ihr das Kleid geschenkt und ihr seine Telefonnummer gegeben. Am nächsten Tag habe sie Kontakt zu ihm aufgenommen. „Ich wollte ein bisschen Spaß haben“, so ihre Aussage. Das Verhältnis habe ein bis drei Monate gedauert, so genau konnte sie es nicht sagen. Jedenfalls sei der Mann, ein Afrikaner, in dieser Zeit sieben oder acht Mal bei ihr gewesen. Niemand habe etwas mitbekommen.
Das allein ist bemerkenswert, denn die Zeugin lebte mit dem Angeklagten und vielen weiteren Familienangehörigen bei ihren Schwiegereltern in Westoverledingen. Auch am 16. Oktober sei dieser Mann, von dem sie weder Nachnamen noch Wohnort oder Alter kannte, gegen sieben Uhr zu ihr gekommen. Er habe ihr gesagt, sie solle ihre beiden Kinder nehmen und mit ihm zusammen weggehen. Doch das habe sie nicht gewollt. Um ihn zu erschrecken, habe sie ihre Pistole aus der Handtasche geholt.
„Der hat mir die Pistole weggenommen und drei Mal auf mich geschossen. Dann ist er weggerannt“, fuhr die Frau fort. Die Waffe, die sie als „Gaspistole“ bezeichnete, habe sie im Kosovo aus Spaß für 450 Euro mit 20 Patronen und einem Magazin gekauft. Aus der Waffe kämen kleine Kugeln heraus, die beim Schießen kaputt gingen. Ihren Mann habe sie zu Unrecht belastet, um vor der Familie ihr Fremdgehen zu vertuschen. „Sie hatte Angst, von der Familie ausgestoßen zu werden“, ergänzte der Verteidiger.
Gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter wollte sie nach dem Schusswaffen-Angriff zur Polizei gehen. Doch die Polizeistation war am Sonntag geschlossen. Ein Passant rief Rettungskräfte und Polizei an. Im Rettungswagen hatte die Zeugin gegenüber einer Polizistin mehrfach gesagt, dass ihr Mann auf sie geschossen habe. Der habe sie geweckt und aufgefordert, ihm eine Zigarette zu stopfen. Dann habe er den Glimmstängel aber nicht genommen. Es sei zum Streit gekommen. Ihr Mann sei ins Bad und dann zum Auto gegangen und mit der Waffe zurückgekehrt, die immer unter dem Fahrersitz gelegen habe. Drei Mal habe er geschossen und sei dann weggefahren.
Eine vergleichbare Einlassung soll die 25-Jährige auch bei einer richterlichen Vernehmung abgegeben haben. Im Prozess wollte sie mit diesen Angaben nicht mehr konfrontiert werden. Sie machte vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Es konnten nicht beide Versionen der Wahrheit entsprechen. Also belehrte Richterin Karsta Rickels-Havemann die Zeugin, dass sie sich nicht selbst einer Straftat, in dem Fall einer Falschaussage, bezichtigen müsse.
Nach den vielen Tränen gab es für die Angehörigen des Angeklagten am Ende Grund zum Jubeln. Das Gericht setzt den Haftbefehl gegen den 38-jährigen Angeklagten außer Vollzug, wenn 15000 Euro Kaution hinterlegt werden. Außerdem muss er seinen Reisepass abgeben, jeden Wohnsitzwechsel mitteilen und sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden.