„Schenken Sie Ihren Enkeln ein Zeitungs-Abo!“

Von Stefan Bergmann

Runter von der Tribüne und rauf aufs Spielfeld der Demokratie – so lautete ein Appell, den Christian Wulff am Dienstagabend in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden an das Publikum richtete. Warum Zeitungen dabei eine gewichtige Rolle spielen können:

„Das 21. Jahrhundert braucht gemeinsame Anstrengungen und keine Nationalisten“, sagt Alt-Bundespräsident Christian Wulff.

Von Werner Jürgens

Emden „Stresstest für die Demokratie“ war der Titel der Rede, die den Auftakt der diesjährigen Emder Forschungstage bildete. Dabei brach der Altbundespräsident auch eine Lanze für die Tageszeitungen.

Das Bild vom passiven Zuschauer, der stets weiß, wie alles besser geht, aber in der Praxis sehr wahrscheinlich kläglich versagen würde, wenn er tatsächlich ran dürfte, zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten Vortrag von Christian Wulff. „Niedermachen ist leicht“, betonte der ehemalige Bundespräsident. „Selber machen ist wesentlich schwerer. Und es dann auch wirklich besser zu machen, ist noch viel schwerer.“ Bezogen auf die Politik bedeute dies, dass das Regieren angesichts der wachsenden Herausforderungen immer schwieriger wird, egal wer gerade regiert. „Das ist kein Trost für die Regierenden“, wie Wulff offen eingestand. „Aber es gehört eben auch zur Wahrheit dazu.“

Auch Feinde werden zusammenarbeiten müssen

Für eine Zukunft, die human, klimaneutral und demokratisch bleiben soll, benötige die Gesellschaft „ein Zusammenwirken von Menschen, die heute noch gar nicht daran denken, dass sie zusammenwirken werden“, so Wulff weiter. „Wir brauchen den gesamten Ideenreichtum und das Innovationspotenzial aller. Zugunsten des Zusammenhalts der Menschheit auf diesem Planeten werden sogar Staaten zusammenarbeiten müssen, die verfeindet sind und verfeindet bleiben. Das 21. Jahrhundert braucht gemeinsame Anstrengungen und keine Nationalisten.“

Radikale verwandeln Liebe in Hass

Liberale Demokratien stünden derzeit Druck, und zwar sowohl von außen durch die weltweite Zunahme autoritärer Regime, die ihr eigenes Volk unterdrücken, als auch von innen, weil sich viele der Demokratie zu sicher fühlten und sie für selbstverständlich hielten, was wiederum einen idealen Nährboden für Radikale bilden würde. Die werden die Herausforderungen und Probleme nach Ansicht des Altbundespräsidenten jedoch nicht lösen können. „Radikale verwandeln Liebe in Hass und Barmherzigkeit in Wut“, erklärte Christian Wulff. „Daraus entsteht ein Auftrag an alle, dies umzukehren: Hass in Nächstenliebe und Wut in Barmherzigkeit zu verwandeln. Das geht nicht von heute auf morgen und wird uns einiges abverlangen. Aber in dem Wort ‚zumuten‘ steckt ja auch das Wort Mut. Und Mut, den brauchen wir.“

Raus aus der Meinungsblase

Dabei sollten wir vermeiden in der eigenen „Meinungsblase“ verharren, sondern mehr miteinander kommunizieren anstatt ständig nur gegeneinander zu polarisieren. In dem Zusammenhang wies der Alt-Bundespräsident auf den besonderen Stellenwert von Tageszeitungen hin und empfahl den Älteren im Publikum: „Schenken Sie ihren Enkelkindern zu Weihnachten ein Zeitungsabo. Wenn ich keine Tageszeitung habe, kriege ich doch gar nicht, was in meinem unmittelbaren Umfeld los ist.“

„Die jüngsten Jahre dürfen nicht einzig besten gewesen sein“

Außerdem machen wir uns laut Wulff zu wenig bewusst, was wir erreicht haben. Wäre er als heute 64-jähriger nur 64 Jahre zuvor geboren, hätte er als 19-Jähriger in den Ersten Weltkrieg ziehen müssen und anschließend die Weltwirtschaftskrise, den Niedergang der Weimarer Republik sowie den Faschismus mit Holocaust und einem weiteren Weltkrieg erlebt. „Am Ende hätte ich dann noch ein paar schöne Jahre mit dem mühseligen Wiederaufbau gehabt“, meinte Christian Wulff. „Und ich finde, wir müssen, wenn wir die großen Linien ziehen, uns klar machen: Es darf später nicht gesagt werden, dass die Jahre von 1960 bis 2020 die einzig besten Jahren zum Leben in Deutschland waren, nämlich in Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand.“