Streit um vermeintliche Handyaufnahme eskaliert
Diebstahl und Raub oder Nötigung? Das Amtsgericht Norden versucht, Licht ins Dunkel zu bringen
Norden „Seit einem Jahr habe ich keinen Schlaf. Eigentlich habe ich gar nichts mehr.“ Der Geschädigte, der mit seiner Aussage vor dem Amtsgericht Norden Licht ins Dunkel bringen sollte, saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Sein Blick war starr auf die Tischplatte gerichtet, er war sichtlich angespannt. „Seit der Tat leide ich unter Verfolgungswahn und habe extreme Angst“, versuchte das Opfer die Auswirkungen der Geschehnisse im Dezember 2022 in Worte zu fassen.
Von Freundschaft nicht mehr viel übrig
Eigentlich verband den 35-jährigen Angeklagten und das 19-jährige Opfer ein freundschaftliches Verhältnis. Kennengelernt hatten sie sich im Oktober 2022 am Bahnhof in Oldenburg nach einem Besuch des Kramermarkts. Auf der Zugfahrt nach Norden kamen sie miteinander ins Gespräch. Da das Opfer und seine Freundin zu diesem Zeitpunkt obdachlos waren, bot der Angeklagte ihnen eine kostenlose Wohnmöglichkeit an. Dieses Angebot nahm das Paar wenig später an und zog in das Haus ein, in dem der Angeklagte mit seiner Frau und drei weiteren Freunden zwei Wohnungen gemietet hatte.
„Rückblickend hatte ich eigentlich schon am ersten Abend nach dem Einzug ein komisches Gefühl“, sagte das Opfer. Er habe eine Leuchtpistole in der Wohnung liegen sehen und sofort Panik bekommen. Die Stimmung wurde dann in den folgenden Tagen immer angespannter, als der Angeklagte plötzlich doch Miete von dem Paar verlangte.
Folgenschweres Missverständnis: Streit eskaliert
Im Dezember kam es dann zu einem folgenschweren Missverständnis, das am Donnerstag vor Gericht aufgeklärt werden sollte.Der 19-Jährige hatte gemeinsam mit seiner Freundin morgens die Wohnung verlassen, um einen Termin zum Probearbeiten wahrzunehmen. Eines seiner Handys hatte er auf der Fensterbank ihres Zimmers zurückgelassen. Als sie spätabends zurückgekehrt waren, begegnete ihnen der Angeklagte aggressiv und beschuldigte sie, mit dem Handy Tonaufnahmen angefertigt zu haben.
„Er hat mich aufgefordert, meine PIN herauszugeben und mir gedroht, dass er mich umbringen würde“, schilderte das Opfer mit erstickter Stimme. Der Angeklagte habe immer wieder gebrüllt, dass er ihn aus dem Fenster werfe oder im Meer verschwinden lasse, sollte er ihm die PIN nicht geben. Diese Worte verfolgten ihn bis heute und würden ihn noch immer nicht loslassen.
Das Opfer versuchte noch, mit seinem zweiten Handy, das er den Tag über bei sich getragen hatte, Hilfe zu holen, doch da nahm ihn der Angeklagte in den Schwitzkasten und griff nach seiner Hand, um ihm auch dieses Handy abzunehmen. Der Angeklagte habe erst seine Hand zusammengedrückt und ihn dann geschubst, sodass er auf den Boden gefallen und mit seinem Kopf gegen eine Dachschräge gestoßen wäre.
„Du erzählst hier so einen Bullshit!“, unterbrach der Angeklagte unwirsch die Erzählungen des Opfers und musste von Richter und Verteidiger ermahnt werden, Ruhe zu bewahren. Er habe keine Gewalt angewendet. Sein Ziel sei es einzig gewesen, die Tonaufnahme abzuhören.
Hatte der Angeklagte eine andere Absicht?
Doch letztlich konnte sich der Angeklagte selbst davon überzeugen, dass mit dem Handy keine Aufnahme gemacht wurde, denn das Opfer, eingeschüchtert von den Drohungen des Angeklagten, gab ihm seine PIN. Das war für den Angeklagten aber kein Grund, die beiden Handys zurückzugeben. Stattdessen forderte er das Opfer und seine Freundin aggressiv auf, die Wohnung zu verlassen. Aus dem Fenster habe er dem Paar noch hinterher gerufen: „Lauft! Sonst komme ich euch gleich hinterher.“
Das Paar, das fluchtartig die Wohnung verlassen hatte, rief gleich auf der Straße die Polizei. Die Vernehmung über die Geschehnisse des Abends dauerte die ganze Nacht, da sich das Opfer in einer Schockstarre befand und kaum in Worte fassen konnte, was ihm in der Wohnung widerfahren war. Am nächsten Morgen kehrte die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl zu der Wohnung zurück und fand die beiden Handys, zurückgesetzt und ohne SIM-Karte im Nachttisch des Angeklagten. Dies legte nahe, dass dieser plante, die Handys zu verkaufen.
Diebstahl und Raub oder Nötigung? Das Urteil
Für die Staatsanwältin stand nach der ausführlichen Vernehmung des Opfers und weiterer Zeugen fest: Der Angeklagte hat sich für einen Diebstahl – da er das erste Handy entwendet – und für einen Raub, da er Gewalt angewandt hatte, um das zweite Handy zu bekommen – zu verantworten. Der Verteidiger argumentierte jedoch für eine milde Strafe, da sich der Angeklagte seiner Ansicht nach allein einer Nötigung schuldig gemacht hätte.
Letzlich folgte das Gericht der Einschätzung der Staatsanwaltschaft: Der Angeklagte wurde für Raub in Tateinheit mit Diebstahl für ein Jahr und zehn Monate verurteilt. In seinem Strafregister waren bereits 14 Einträge aufgeführt, zuletzt bekam er für ein Gewaltdelikt eine Bewährungsstrafe. „Es gibt leider nicht vieles, was wir Ihnen zugutehalten können. Deswegen glauben wir, dass die Strafe im Gefängnis verbüßt werden muss“, sagte der Richter. Was dies für ihn bedeuten würde, schien der Angeklagte nicht zu realisieren. Seinen Blick richtete er weiter starr auf die Tür. pfa