Tourismus in Ostfriesland: „Das Thema lautet: Nachhaltigkeit!“

Von Stefan Bergmann

Holger Herweg betreibt die Agentur Pathfinder AG mit Sitz in Oldenburg. Schon zum zweiten Mal hat er den repräsentativen Nordsee-Tourismusreport 2023 erarbeitet. Bei der Online-Präsentation in der vergangenen Woche waren viele Touristiker der Region anwesend. Herweg ist Organisationsentwickler und hilft unter anderem Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung ihrer Geschäftsfelder. Und manchmal auch Urlaubsregionen.

Herr Herweg, wo liegt die größte Gefahr für den Tourismus hier an der Nordseeküste?

Die größte Gefahr ist, wenn es die Region nicht schafft, sich gemeinschaftlich auszurichten.

Wie meinen Sie das?

Wir haben hier eine wunderbare Region mit wunderbaren Aktivitäten, aber es scheint nicht klar zu sein, welche Zielgruppen man erreichen will und welche Angebote man machen will. So wird die Region wohl auch von außen wahrgenommen.

Das heißt: Jeder macht, was er will, aber es gibt kein gemeinsames Konzept?

Es gibt viele gute kleine Konzepte, aber sie gehen wohl nicht Hand in Hand.

Was ist eigentlich unser gemeinsamer Wert, den Ostfriesland vermarkten sollte?

Urlaub für Menschen in Deutschland, die sich mit Familien oder allein erholen möchten. Und ganz wichtig ist: Die Gemütlichkeit der Teezeit.

Wie bitte?

Der Fünf-Ührtje, den ich hier kennengelernt habe – das ist ein Stück Ankommen und Runterfahren.

Tee ist natürlich ein großes Thema. Aber das reicht doch nicht als Alleinstellungsmerkmal einer Region...

...man müsste eine Themenwelt drumherum schaffen und schauen: Wen will man erreichen. Es gibt viele Stammgäste, die auch im hohen Alter noch kommen. Für die ist natürlich Barrierefreiheit wichtig. Jüngere Familien brauchen das Gefühl: Hier sind wir gerne.

Sie haben festgestellt, dass der Nordseeküste die jungen Familien etwas abhanden kommen und dass die vermehrt nach Dänemark fahren. Warum tun die das?

Wir haben hier auch Angebote für Kinder. Aber in Dänemark sind es wohl mehr.

Wer glaubt, Ostfriesland liegt am Meer, sieht sich oft enttäuscht. Kilometerlange Deiche, viel Beton, Salzwiesen – und ganz hinten schwappt das Meer.

Ja, das ist natürlich ein Thema. In Dänemark kann man in den Dünen wohnen, man hat mehr Bewegungsfreiheit. Als ich als Kind war, gab es für uns Action, und unsere Eltern konnten den Urlaub genießen. Hier in Ostfriesland muss man die Angebote für Kinder schon suchen. Es geht auch darum, Familienurlaub anzubieten, aber dabei den Eltern die Möglichkeit zu geben, für sich quality time zu finden.

Eine Woche Mallorca ist billiger als eine Woche Norderney. Ist es hier einfach zu teuer?

Ja, das ist manchmal schwer zu verstehen. Auf Mallorca habe ich Hotels, all inclusive und Kinder-Unterhaltung. Hier in Ostfriesland sitze ich in der Ferienwohnung, habe kein Büffet und kein Kinderprogramm. Aber es wird in diesen Zeiten überall teurer, auch hier an der Küste.

Sind Holland und Dänemark billiger?

Dänemark gilt als teures Reiseland. Aber dort bekommt man dort ein besseres Gesamtpaket für sein Geld.

Eines Ihrer Themen ist die offenbar mangelnde Digitalisierung der Region. Wie meinen Sie das?

Bargeldlos zu zahlen ist ein extrem wichtiger Baustein. Man will nicht immer das Portemonnaie dabei haben, und dann wird bargeldlose Zahlung nicht angeboten. Mittelfristig stellt sich die Frage nicht mehr, ob Digitalisierung wichtig ist oder nicht. Die junge Generation wächst so auf. Dann will man das auch im Urlaub haben.

Wenn ich zum Pilsumer Leuchtturm fahre – könnte davor nicht ein QR-Code kleben, hinter dem dann mehr Informationen gegeben werden.

Ja, das ist ein Punkt. Das wurde uns in der Umfrage auch ganz klar gesagt. Man muss aber die Online- und die Offline-Angebote gut verknüpfen. Man muss dringend die vielen Angebote verknüpfen. Es gibt viele Plattformen, aber nicht alle machen mit. Und die, die mitmachen, pflegen die Informationen nicht richtig.

Wo machen Sie eigentlich Urlaub?

Wir machen ein Jahr Meer, ein Jahr Berge. Ich segele gerne, ich habe dieses Jahr einen Törn von Dänemark nach Schweden gemacht, und habe während der gesamten Zeit kein Bargeld benötigt.

Das kommt mir sehr bekannt vor. Bei Urlauben im Ausland funktioniert alles wunderbar: Vom Handynetz, über Wlans in Hotels und Ferienwohnungen bis hin zum bargeldlosen Einkaufen. Sobald man wieder in Deutschland ist, ist das alles vorbei.

Ja, das Thema Wlan ist ein sehr wichtiges. Die besten Apps und Angebote bringen nichts, wenn man kein Wlan oder Netz hat. Ersteres ist auch wichtig für die älteren Generationen. Die haben dann ein Handy, aber kein großes Datenvolumen.

Manchmal hat man den Eindruck, dass sich die Region Ostfriesland samt Inseln darauf verlässt, dass es einfach immer so gut weiterläuft bisher. Weshalb man keine Renovierungen braucht, wenig Digitalisierung, wenig Service. Haben Sie das genauso festgestellt?

Tatsächlich: Dieser Eindruck kann so aufgekommen, dieses Fazit haben wir auch gezogen am Ende unserer Präsentation. Noch sind genug Gäste da. Und man verlässt sich drauf, dass es so weitergeht. Aber man geht die Probleme nicht gemeinschaftlich an. Wir leben hier in einer der schönsten Regionen Deutschlands. Aber darauf allein sollte man sich nicht verlassen.

Welches eine Thema sollte die Region umgehend noch in diesem Jahr angehen?

Eine gute Frage...Wir leben im Weltkulturerbe. Das Thema Nachhaltigkeit wird immer wichtiger für die Wahl des Urlaubsortes, und zwar für junge wie für ältere Menschen. Man sollte eine Strategie entwickeln, die Region gemeinsam als nachhaltig zu positionieren.