Vergewaltigung nicht nachweisbar

Von Martina Ricken

Aurich Was sich im Laufe des Prozesses vor dem Landgericht Aurich bereits abzeichnete, trat am Ende auch ein. Ein 43-jähriger Großheider wurde vom Vorwurf der Vergewaltigung eines 17-jährigen Mannes freigesprochen.

Als gesichert galt am Ende des Verfahrens, dass es vor knapp zwei Jahren in der Wohnung des Angeklagten zu sexuellen Kontakten zwischen ihm und dem Jugendlichen kam. Die Männer hatten sich zunächst über einen Chat kennengelernt, dann auch persönlich getroffen. Musikanlagen und DJ-Equipment waren die Interessen, die sie teilten. Am Abend des 8. September 2021 brachte der Angeklagte den Jugendlichen mit dem Roller in seine Wohnung, um ihm seine Anlage zu zeigen. Weil es spät wurde und beide Alkohol getrunken hatten, sollte der 17-Jährige beim Angeklagten übernachten.

Dabei soll es laut Anklage zu sexuellen Handlungen gegen den Willen des Nebenklägers gekommen sein. Dass es sexuelle Handlungen gab, steht aufgrund eines nachfolgenden Chatverkehrs fest. Aber was genau passiert ist, hätten nur zwei Personen erzählen können. Der Angeklagte wollte im Prozess nicht sprechen, der Nebenkläger konnte nicht. „Der hat im Kopf, was passiert ist, aber er kann es hier nicht aussprechen, nicht darstellen. Die Schamblockade ist zu groß“, erklärte seine Anwältin.

Dass es unmöglich war, eine zusammenhängende Darstellung oder zum Teil überhaupt Antworten zu bekommen, musste auch Richter Björn Raap erfahren. Der Vorsitzende hatte mit großem Einfühlungsvermögen versucht, die Hemmnisse beim Nebenkläger abzubauen. Es war vergebens.

Mit der fehlenden Aussage des vermeintlichen Opfers blieben in der Frage, was eigentlich genau passiert ist, riesige Lücken, die mit anderen Beweismitteln nicht zu füllen waren. Es konnte schon gar nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob der sexuelle Kontakt gegen den erkennbaren Willen des Opfers, unter Zwang oder Drohungen erfolgt war. Es blieb also offen, ob es überhaupt zu Straftaten gekommen war.

„Es könnte alternativ der sexuelle Missbrauch eines Jugendlichen in Betracht kommen“, wies Erster Staatsanwalt Malte Sanders auf eine andere strafrechtliche Möglichkeit hin. Aber dazu hätte sich der Jugendliche in einer erheblichen Zwangslage befinden müssen. Doch dafür gab es keine Anhaltspunkte. „Es gibt weitere Verfahren gegen den Angeklagten mit ähnlichen Vorwürfen. Aber auch das hilft uns nicht weiter“, so der Vertreter der Anklage.

„Es muss etwas stattgefunden haben, das den Mandanten dermaßen aus der Bahn geworfen hat“, resümierte die Anwältin des Nebenklägers zum Schluss. „Er hat gesagt, dass es das Schlimmste war, was er bis dahin erlebt hat.“ Da der Nebenkläger aber „das Schlimmste“ nicht benennen konnte und die Schuld des Angeklagten nicht zweifelsfrei feststand, blieb nur ein Urteilsspruch möglich, den Richter Raap am Ende verkündete: Freispruch.