Vier Monate warten auf die Anerkennung - was für eine Hängepartie für Erzieherinnen!

Von Stefan Bergmann

Ostfriesland Die Arbeiterwohlfahrt betreibt Kindertagesstätten und auch Pflegeheime in Ostfriesland. Anfang dieser Woche begrüßte sie eine Meldung des Landesamtes für Schule und Bildung, die fachlichen Qualifizierungen von Kita-Erzieherinnen aus dem Ausland schneller und einfacher zu prüfen - mit dem Ziel, den Personalmangel in Kitas effektiver zu bekämpfen. Der KURIER hat darüber mit Thore Wintermann gesprochen, Vorstand „Verband und Politik“ bei der Awo Bezirksverband Weser-Ems mit Sitz in Oldenburg:

Herr Wintermann, wie dramatisch ist die Personalsituation in Ihren Kindertagesstätten in Ostfriesland, wo liegen die Probleme?

Gegenfrage – was ist für Sie dramatisch? Wenn Sie als Träger vor der Frage stehen, wie Sie mittel- und langfristig Lösungen für das absehbare personelle Dilemma finden können, dann kann dies hier und dort schon mal für eine unruhige Nacht und umfangreichere Gesprächstermine sorgen. Geht es aber darum, ob Eltern morgen ihre Kinder zur Kita bringen können und ob diese dort gut versorgt sind, dann mache ich mir aktuell keine Sorgen. Gleichwohl ist die personelle Lage in Spitzenzeiten angespannt, dabei handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Vorausgesetzt, es gäbe genügend Bewerberinnen: Wie viele könnten Sie auf Schlag einstellen?

Kleine Ergänzung, da sie in der Gesellschaft noch immer oft nicht im Berufsfeld mitgedacht werden: Natürlich sprechen wir hier auch von qualifizierten männlichen Bewerbern, die wir sehr gerne in unseren Einrichtungen sehen wollen.

...die Frage nach den Männern wollte ich erst später stellen...

Es ließe sich vermuten, dass die Zielgruppe deutlich größer ist und wir damit eine breitere Auswahl hätten. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall. Nun also eine plakative Zahl X abzuleiten, ist nicht seriös. Ich kann Ihnen aber sagen, dass aktuell allein 22 Stellenangebote mit Stichwort Erzieher*in auf unserem Karriereportal hinterlegt sind – so auch für Wilhelmshaven oder Aurich.

Das Landesamt für Schule und Bildung hat angekündigt, die Anerkennung von ausländischen Bewerberinnen einfacher zu machen. Wie das geschehen soll, wurde nicht gesagt. Auch nicht wann. Ist diese von Ihnen begrüßte Absicht nicht ein bisschen nebulös?

Aus unserer Sicht gilt das Verfahren ab sofort. Und natürlich muss über jeden Antrag individuell entschieden werden – was möglicherweise auch zu einer Verzögerung im Verfahren führt. Unterm Strich begrüßen wir diesen Schritt des Landes und hoffen darauf, dass die Anerkennungsverfahren endlich zügiger und praktikabler erfolgen. Das Anerkennungsverfahren soll zwischen 100 und 250 Euro kosten, dazu bis zu vier Monate dauern, sofern alle Unterlagen vollständig vorliegen. Schauen wir mal!

Wenn Sie es bestimmen könnten: Wie sollte ein schlankes Anerkennungsverfahren aussehen, und wie lange müsste es dauern?

Natürlich ist es ein Leichtes, immer zu fordern und zu kritisieren. Andererseits frage ich mich schon, weshalb die Entscheidung über Für und Wider so dringend benötigten Personals derart viele Monate in Anspruch nehmen soll. Die teils viele Monate dauernden Hängepartien für die Bewerberinnen und Bewerbern sind auf jeden Fall abschreckend und schaden dem Berufsfeld und damit der Versorgung der Bevölkerung mit Kinderbetreuung und frühkindlicher Bildung.

Stichwort Sprachbarriere: Ist das eigentlich das größte Problem oder sind es wirklich mangelnde Fähigkeiten, die ausländische Fachkräfte mitbringen?

Ich würde hier nicht von mangelnden Fähigkeiten sprechen, sondern eher unterschiedlichen Ansprüchen. In Deutschland ist ja alles reguliert nach DIN und DQR. Das alles hat auch fraglos seine Berechtigung. Aber: Nur weil es in Deutschland so und so gehandhabt wird, muss es nicht besser oder schlechter als in anderen Ländern sein. Hier ist vor allem die Qualifikation für die bestehenden Vorgaben entscheidend. Ein Beispiel: Es gibt Länder, in denen ein Uni-Abschluss für Erzieherinnen und Erzieher Voraussetzung ist. In einigen Ländern werden Kinder sehr intensiv gefordert und gefördert, in anderen sollen sie einfach mit Spaß am Lernen aufwachsen. Hier einen Mittelweg zu finden und entsprechende Qualifikationen zu erkennen, zuzulassen und dann für die Bedarfe auch anzupassen: Das ist meines Erachtens die größte Herausforderung.

Der Erzieherinnenberuf ist nach wie vor weiblich; die andere Hälfte der Menschheit bewirbt sich praktisch nie bei Ihnen. Macht es nicht auch das so schwierig, die Stellen besetzt zu bekommen?

Sie haben in einem Punkt schon Recht: Die Kindertagespflege und -betreuung besteht zum Großteil aus Erzieherinnen. Aber: Nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch erhalten wir durchaus und gehäuft Bewerbungen von Männern für diesen Traumberuf, wir bilden ja auch dazu aus. Wenn ich hier nun den Spieß einfach mal umdrehe und Sie provokant frage, weshalb Sie dieses klischeebehaftete Narrativ weitertragen, ist eines der Hauptprobleme in unserer Gesellschaft schnell offenkundig.

Nun, es ist ja kein Narrativ, sondern praktische Erfahrung: Der Anteil von Erziehern ist gefühlt verschwinden gering...

Kinder brauchen weibliche wie männliche Begleitung beim Heranwachsen. Das sollte jedem von uns klar sein.

Generell: Was glauben Sie, weshalb der Erzieherinnenberuf so unattraktiv ist? Und wie könnte man dem abhelfen?

Wir bemühen uns mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln sehr, für eine deutliche Attraktivierung zu sorgen. Wie Sie wissen, haben wir eine ähnlich drängende Problematik auch im Bereich der Altenpflege. Aber: Schauen Sie in die Gastronomie, schauen Sie in die Verwaltungen, schauen Sie auch in den Journalismus – nahezu überall ist unsere Gesellschaft im abrupten Wandel, fast die komplette Wirtschaft klagt über Arbeitskräftemangel und massive Probleme, nicht nur gutes, sondern überhaupt noch Personal zu finden. Die immer neuen Vorgaben und bürokratisch engen Leitplanken in Land und Bund sorgen für Frustration im Alltag.

Eine Erzieherin bei der Awo verdient rund 2800 Euro brutto bei Ihnen. Davon kann man keine Familie ernähren. Wirtschaftswissenschaftler sagen: Es gäbe keinen Facharbeitermangel, wenn die Arbeitgeber nur ordentlich bezahlen und damit die Attraktivität der Beruf erhöhen würden. Stimmen Sie zu?

Die von Ihnen genannte Zahl entspricht dem Einstiegsgehalt einer Erzieherin oder eines Erziehers – also direkt nach der Ausbildung. Je nach Einsatzgebiet und Betriebszugehörigkeit variiert das Gehalt unserer Erzieherinnen und Erzieher damit zwischen 2900 und 4400 Euro. Damit liegen wir im Tarif des öffentlichen Dienstes – dem generellen Kompass. Hier ist die eine Stellschraube. Eine andere sind die Arbeitsbedingungen, die im Kindertagesbetreuungsgesetz festgeschrieben sind. An beiden muss im Sinne einer Attraktivierung des Berufsfeldes gedreht werden. Sie können dies gern als Botschaft an die Vertreterinnen und Vertreter des Kommunal- und Landesverwaltung interpretieren.

Sie betreiben auch viele Pflegeheime in der Region. Für PflegerInnen gibt es inzwischen Tarifverträge mit Mindestlohnhöhen, seitdem ist die Personalnot etwas gemildert. Sollte es so etwas nicht auch für die Kitas geben?

Ein allgemein verbindlicher bundesweiter Tarifvertag Soziales für alle Felder des Sozialen ist klare Beschlusslage der Awo. Wir waren leider betroffen, als der jüngste Vorstoß in diese Richtung an der fehlenden Zustimmung der kirchlichen Träger Ende 2021 auf Bundesebene scheiterte.