VW wirbt per Flugblatt für ein harsches Sparprogramm
VW legt seine Forderungen an die Belegschaft auf den Tisch. Freundlich im Ton, klar in der Aussage.
Wolfsburg/Emden Mit einem Flugblatt, das am Dienstag in allen VW-Werken an die Belegschaft verteilt wird, versucht der Konzern die Belegschaft auf den Sparkurs einzuschwören. Das Wort „Arbeitsplatzabbau“ und „Werksschließung“ kommt auf dem Zettel nicht vor. Wohl aber das Fazit: „VW produziert in Deutschland zu teuer“. Vor dem Start der Tarifgespräche mit der IG Metall am Mittwoch fordert der Konzern die Belegschaft per Flugblatt zu Zugeständnissen auf. Es liegt der KURIER-Redaktion vor.
Damit ist klar, dass es um Kosten geht. Zu hohe Arbeitskosten, die gesenkt werden müssen, eine Steigerung der Produktivität und eine bessere Auslastung der Werke - das sind laut Flugblatt die Aufgaben, die jetzt anstehen.
Gewerkschaften dürften ganz genau hinschauen
Gewerkschafter dürften bei allen drei Forderungen aufmerken. Denn sie untermauern in freundlichen Worten, was VW in den vergangenen Tagen mehr oder minder freiwillig kommuniziert hat: Es geht um Arbeitsplatzabbau und womöglich auch um die Schließung ganzer Werker und Umverteilung von Prozessen auf die verbleibenden. Fachmagazine wollen herausgefunden haben, dass die Werke in Zwickau und Osnabrück auf der Streichliste stehen.
In dem ganzen Flugblatt zeigt sich erneut, dass eine offene Fehlerkultur eher nicht das Ding von Volkswagen ist. Dass die neuen E-Fahrzeuge zu trist, zu teuer und technisch nicht auf neuestem Stand sein könnten: Davon kein Wort. Dass der China-Markt gerade verloren geht, weil VW an den dortigen Verbraucherinteressen vorbei produziert: Auch das wird nicht thematisiert.
Die Schuld für die Misere liegt bei anderen
Laut Flugblatt kaufen immer weniger Menschen Autos, dafür gebe es aber neue starke Wettbewerber, „die vom Kuchen - dem europäischen Automarkt - ein Stück abbekommen wollen. Gemeint dürften hier die Chinesen sein, die gerade auf den europäischen Markt drängen - wenn auch mit bisher mäßigem Erfolg. Im Heimatland China haben sie jedoch gezeigt, wie nah sie am Verbraucher sind - und wie flexibel im Design und der Produktion.
Das Ergebnis sei: „Volkswagen fehlen 500.000 Auto pro Jahr“, die verkauft werden. Und dann kommt ein Satz, der die ganze Misere des Konzerns widerspiegelt: „Volkswagen hat starke Produkte, mit denen wir unsere Kunden weltweit begeistern. ABER: um das weiter zu können, müssen wir sie jetzt gewinnbringend produzieren und zu attraktiven Preisen auf die Straße bringen.“ Das ist das Eingeständnis, dass die eigenen Autos zu teuer sind. Aber auch die Einschätzung, dass die Produkte gut sind und Menschen begeistern. Doch die Verkaufszahlen des Kraftfahrbundesamtes sprechen eine andere Sprache. Allein der ID.7 Tourer läuft so richtig gut.
Das Flugblatt kündigt schmerzhafte Einschnitte an
Das wichtige steht zwischen den Zeilen: Nach Ansicht von VW geht es so nicht weiter. Hoher Krankenstand, aus Konzernsicht zu hohe Löhne, zu kurze Arbeitszeiten, zu lange Pausen, ungeplante Abwesenheiten, Prämiensysteme und sonstige Goodies, die es derzeit beim Konzern gibt: Dies alles steht zur Diskussion.
Der Automobilhersteller ist in der wirtschaftlichen Wirklichkeit angekommen - und kämpft gegen die Probleme, die andere Branchen schon seit langem kennen.
„Das ist ja mal eine andere Art der Unternehmenskommunikation“, kommentiert Manfred Wulff, VW-Betriebsratsvorsitzender in Emden, die Aktion. Am Dienstag waren beim Emder Werk nach seiner Aussage noch keine dieser Infozettel verteilt worden.
Am Mittwoch erste Gespräche mit der IG MetallDie Aktion in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Salzgitter, Emden und Kassel erfolgt einen Tag vor dem Start der Tarifgespräche mit der IG Metall. Darin soll es nicht nur um den Entgelttarif gehen, sondern auch um die jüngst von VW gekündigten Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung, zur Übernahme von Auszubildenden und zur Bezahlung von Leiharbeitern.