Was kann klassische Musik heute?

Von Sven Bohde

Beim Sea Sounds Festival spielt das Orchester im Treppenhaus gegen das verstaubte Image der Klassik

In ihrem aktuell fünften Jahr befindet sich das Sea Sounds Festival und man braucht das Orchester im Treppenhaus nicht mehr vorzustellen. Längst hat sich das Sammelsurium aus etwa 20 Musikern vom Geheimtipp zu einer festen europäischen Größe entwickelt, speziell wenn es um die Beantwortung der Frage geht: Was kann klassische Musik heute? Nun, sie kann im vorliegenden Fall vor allem gegen ihre Reputation anspielen. Gegen das verstaubte, stocksteife und prüde Image.

Aber wer sich in die Fänge des Orchesters begibt und zu einem ihrer Konzerte geht, muss sich darüber im Klaren sein, dass sich die Sicht auf klassische Musik ändert und man immer mehr will von dieser Leichtigkeit, die gepaart mit Leidenschaft einfach himmlisch ist: Stairway to Heaven, quasi.

Und genau das wollen die Macher und setzen dabei nicht nur auf die Auswahl der Musik, sondern auch auf die Auswahl der Orte, an denen musiziert wird.

Viel Bewährtes steht auf dem Programm, wie beispielsweise der Sing-Along am Nordbad, bei dem auch untrainierte Musikfreunde zu bekannten Liedern aus dem Repertoire der Musikanten mitträllern können. Auch die Sonnenauf- beziehungsweise -untergangskonzerte stehen wieder auf dem Spielplan. Einer der Sunset-Termine findet im Wasserturm der Insel statt. „Ich habe gehört, dass selbst viele Insulaner das dominante Gebäude nur von außen kennen – jetzt ist die Gelegenheit, mal ins Innere zu schauen und das mit schöner Musik“, meint Yannick Hettich, künstlerischer Leiter des Orchesters im Treppenhaus. „Und obwohl ich wahrlich kein Frühaufsteher bin“, meint er weiter „ist die Stimmung zum Sonnenaufgang mit klassischer Musik wirklich etwas ganz Besonderes. Da komme sogar ich aus den Federn“.

Bekannt und sehr beliebt aus den vergangenen Jahren ist auch „Dein persönliches Notfallkonzert“, in dem mutige Zuhörer die Chance bekommen, über große und kleine Unpässlichkeiten zu berichten. Eine musikalische Ambulantbehandlung folgt dann sofort – ganz ohne Rezept. „Regelmäßig fließt bei dieser Gelegenheit die eine oder andere Träne“, weiß Yannick Hettig.

Viele neue Programmpunkte finden sich unter der Thematik „Für Kinder und Familien“. An gleich zwei Terminen wird ein Konzert „Momo“ geweiht, dem kleinen Mädchen aus dem gleichnamigen Roman von Michael Ende, in dem sich die Hauptfigur gegen die Diebe der Zeit wehrt und sich gegen die „Grauen Herren“ der Zeitsparkasse auflehnt. „Ganz wichtig zu erwähnen ist“, so Hettich, „dass wir hier mit den Norderneyer Schulen zusammenarbeiten. In der Grundschule wird bereits seit Tagen eine Art Bühnenbild gebastelt, inklusive der ,Grauer Herren‘ und an mindestens 200 Blumen. Ein Extratermin, der nicht in der Programmübersicht erscheint, ist für zwei Jahrgangsstufen der KGS vorgesehen“.„Und es muss an dieser Stelle auch einmal erwähnt werden, dass die Inselschulen extrem viel für die musikalische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen tun, die hier wirklich alle Möglichkeiten haben, ein Instrument zu lernen. Das haben wir schon ganz anders erlebt“, so Hettich.

Am drittletzten Festivaltag gibt es dann noch einen musikalischen Strandspaziergang für Kinder, der im Conversationshaus startet.

Das Festival ist aber auch am Puls der Zeit, besonders wenn Gerda kommt. Eigentlich heißt sie Marie und studiert Operngesang, beherrscht aber Synthesizer und Loop-Machine gleichermaßen.

Das Ergebnis ist ein Konzert als Unikat, als Wachsen eines musikalischen Monsters – manchmal zum Tanzen.