Wenn die „Graf Edzard I.“ zum Ausguck wird

Von Keno Klaassen

Viele Besucher gehen auch bei schlechterem Wetter an Deck der „Graf Edzard I.“, um die Vögel mit Ferngläsern zu beobachten oder zu fotografieren. Fotos Keno Klaassen

Krummhörn Tüt tüt, tüt tüt.“ So oder so ähnlich klingt wohl der kleine Rotschenkel. Matthias Bergmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kann im Rahmen der 16. Zugvogeltage reichlich über hiesige Vögel erzählen – und dabei auch ihre Geräusche nachahmen. Stockenten, Schnatterenten, Blaukehlchen und weitaus mehr Vögel sind während der zwei Stunden Thema auf dem Fahrgastschiff „Graf Edzard I.“.

Die Sonderfahrt ab Greetsiel, die der Naturschutzbund veranstaltet, ist gut besucht. Die insgesamt 114 Gäste sind begeistert und beobachten das Geschehen der Vögel mit Ferngläsern und gönnen sich dabei leckere Speisen und Getränke. „Wir sind sehr zufrieden, gerade bei dem schlechten Wetter, so viele Gäste zu haben“, sagt die Leiterin des Nationalpark-Hauses Insa Steffens. Bergmann, der das Schiff mittlerweile seit über zehn Jahren während der Zugvogeltage begleitet, erklärt den gespannten Besuchern mittels Durchsagen, welche Vögel zu sehen sind. Egal, ob es um das Aussehen, das Verhalten oder die Geräusche geht: Bergmann begeistert mit seinem Wissen über die Vögel.

Die Geschichte der Region und des Schiffes

Bei Fahrtbeginn erzählt Bergmann erst einiges über die Geschichte der Region und des Schiffes. Namensgeber dessen ist Graf Edzard, der 1462 in Greetsiel geboren wurde. Er war der Sohn des ersten Grafen Ostfrieslands, Graf Ulrich. Doch bis zur Errichtung einer Grafschaft dauerte es in Ostfriesland ungewöhnlich lange. Die Region lebte über Jahrhunderte in der sogenannten „Friesischen Freiheit“. Diese Freiheit bedeutete, dass die Friesen weitgehend unabhängig von Feudalherrschern waren und nur dem König unterstanden – ohne Grafen oder andere Adelige.

Schon früh stand die friesische Freiheit auf dem Spiel, als die Wikinger um das Jahr 800 versuchten, Ostfriesland zu plündern. Der Legende nach schlossen sich die Friesen zusammen und schlugen die Angreifer in der Nähe von Norden vernichtend.

Matthias Bergmann bezeichnet dieses friesische Streben nach Freiheit gar als einen „Vorläufer der Demokratie“. Verschiedene Katastrophen und Krisen, wie die „kleine Eiszeit“, die Pest und die Marcellusflut, führten allerdings dazu, dass das herrschende System im Laufe der Zeit endete. Schließlich wurde die Region in eine Grafschaft umgewandelt, die unter der Herrschaft von Graf Ulrich begann.

Wattenmeer als Rast- und Überwinterungsgebiet

Ein großes Thema ist ebenfalls die Bedeutung des Wattenmeers und Ostfrieslands Besonderheiten bei Vögeln. Die Krummhörn sei als Rast- und Überwinterungsgebiet für nordische Gänse, Enten und Limikolen bekannt, so Bergmann. Hervorzuheben seien die hohen Bestände an Weißwangen-, Bläss- und Graugänsen, die von den Schlafplätzen in der Leybucht aus das Gebiet als Nahrungsraum nutzten. Darüber hinaus habe die Umgebung zur Zugzeit eine besondere Bedeutung als Hochwasserrastplatz und Nahrungshabitat für den Löffler sowie für die Limikolen wie Alpenstrandläufer, Brachvogel oder Goldregenpfeifer, wenn die nahe gelegenen nahrungsreichen Wattflächen während der Flut überspült sind.

Als Brutvogellebensraum sei das Gebiet in erster Linie für Wiesenvögel wie den Kiebitz, den Rotschenkel oder die Uferschnepfe von Bedeutung, die die Grünlandareale der Krummhörner Meere, bei Greetsiel und der Leybucht besiedeln. Als weitere charakteristische Brutvögel der Röhrichte hätten Blaukehlchen und Schilfrohrsänger in Greetsiel ein Schwerpunktvorkommen.

Ein weiterer wertbestimmender Brutvogel sei die Rohrweihe, der häufigste Greifvogel im Vogelschutzgebiet Krummhörn. Neu in der Region ist seit einigen Jahren der Seeadler, der hier nun sein westlichstes Brutgebiet in Niedersachsen hat.

Bergmann fasziniert mit seinem Wissen

Trotz des schlechten Wetters fährt die „Graf Edzard I.“ durch die Schleuse und somit ein kleines Stück auf die Nordsee. Das ist der Zeitpunkt, an dem Matthias Bergmann richtig aufblüht: Er kann noch einiges über seltene Vögel erzählen, die er entdeckt habe. Den Besuchern gefällt es offensichtlich, viele von ihnen gehen trotz des leichten Regens an Deck, um die Vögel aus nächster Nähe beobachten zu können.

„Das Wattenmeer wirkt auf den ersten Blick vielleicht leblos und öde, aber in Wirklichkeit ist es dort sehr belebt. Es ist die Drehscheibe des internationalen Vogelzugs“, hören die Besucher Bergmanns Stimme über die Lautsprecher. Es gebe genug Sonne, Wasser und Nährstoffe. Die organische Masse sei genauso hoch wie im Regenwald, erzählt er, während die Gäste gespannt zuhören.

Mit einigen witzigen Annekdoten kann Matthias Bergmann den Besuchern ein Lachen aufs Gesicht zaubern. Als Stock- und Schnatterenten über das Schiff fliegen, macht er ihnen bildlich deutlich, wie sie Nahrung im flachen Wasser aufnehmen würden. Er vergleicht diese Nahrungsaufnahme mit dem Kinderlied „Alle meine Entchen“ und zitiert die Passage „Köpfchen unter Wasser, Schwänzchen in die Höh´“.

Erklärung über Zugvögel in Ostfriesland

Es gibt einige Vögel, die das ganze Jahr am selben Ort bleiben, weiß Bergmann. Diese Standvögel, wie beispielsweise der Reiher, seien aber eine Ausnahme. Die meisten Vogelarten seien sogenannte Zugvögel, die während der warmen Jahreszeit in ihren Brutgebieten zu finden sind. Wenn es dann allerdings zu kalt für die Brut werde, machten sich die Vögel auf den Weg zu ihren Überwinterungsgebieten in warmen Regionen wie Nordafrika. Die Route führe dabei oft über Ostfriesland. Im Wattenmeer, der „Tankstelle“ , wie Bergmann es bezeichnet, stärkten sich die Vögel. In dieser Zeit seien sehr viele, teils auch seltene Vögel in Ostfriesland zu sehen. Das von Bergmann so getaufte „Vogelparadies“ habe dabei auch Platz für Tiere, die vom Aussterben bedroht seien. Die „ostfriesische Nachtigall“, das Blaukehlchen, sei in den 70er-Jahren äußerst gefährdet gewesen. Mittlerweile sei es aber wieder sehr weit verbreitet, gerade in Ostfriesland. Erschreckend, wie Bergmann betont, sei allerdings, dass der Vogelbestand heutzutage nur knapp 20 Prozent dessen von vor 200 Jahren betrage. Deshalb sei man beim Naturschutzbund stets bemüht, den Vogelbestand langsam wieder aufzubauen. Auf einer Fläche von 40 Hektar habe der Nabu einen großen Zaun gezogen, um die hiesigen Füchse abzuhalten. Es habe zwar über zwei Jahre gedauert, bis der Zaun wirklich sicher war. Nun bemerke man allerdings bereits deutliche Fortschritte. Brutvögel seien endlich wieder ungestört und werden nicht mehr von Füchsen gejagt.

Matthias Bergmann weiß die Passagiere der „Graf Edzard I.“ mit faszinierenden Fakten zu überraschen, die viele wohl nicht erwarten. Besonders staunenswert: Eine Pfuhlschnepfe, die mit einem Sender ausgestattet worden war, sei über 11500 Kilometer am Stück geflogen – ohne Pause. Über acht Tage hinweg habe sie diese Distanz zurückgelegt. Dank moderner Technologien hätten Forscher herausfinden können, dass manche Vögel während des Fluges nur mit einer Gehirnhälfte schliefen, während die andere aktiv bliebe, um weiterzufliegen. Diese außergewöhnliche Fähigkeit ermögliche es den Vögeln, solch lange Strecken zu bewältigen.

„Einfach beeindruckend“, kommentiert Bergmann den Rekordflug – eine Meinung, die von den begeisterten Zuhörern geteilt wird. Am Ende seines Vortrags erhält er kräftigen Applaus. Die Gäste sind nicht nur von den spannenden Informationen begeistert, sondern auch von der Atmosphäre an Bord. „Hat mir super gefallen, der Vortrag und das Essen“, schwärmt eine Besucherin.

Das Fahrgastschiff „Graf Edzard I.“ in Greetsiel bietet von Karneval bis November regelmäßig Fahrten an. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.reederei-bsg.de.