Wie ein alkoholkranker Norder neuen Lebensmut fand

Wie ein alkoholkranker Norder neuen Lebensmut fand

Mit Hilfe konnten Elke Göken (l.) und Wolfgang Placke ein Tänzchen wagen.

Norden Ein Fischbrötchen, ein Tänzchen: Was nach einem Sommerausflug klingt, war für Wolfgang Placke ein Riesenschritt zurück ins Leben. Jahrzehntelang bestimmten Alkohol und Einsamkeit seinen Alltag – bis eine Wette im Haus am Kolk (Awo) alles veränderte. Maßgeblichen Anteil daran hat Elke Göken, die Einrichtungsleiterin des Altenwohnzentrums in Norden.

Aber von Beginn an: Private Schicksals- und berufliche Rückschläge hatten dem Norder früh alles abverlangt. Zu viele Krisen für einen Menschen, der keine Unterstützung hatte. Was folgte, war der Sturz in eine Spirale, aus der sich Placke selbst nicht mehr herausarbeiten konnte.

Irgendwann half der Alkohol zwar gegen den Schmerz, dafür verlor er Erinnerungen, alles wurde ihm gleichgültig. Placke wurde lauter fürs Umfeld, zugleich leiser in sich. Die soziale Isolation nahm ihren Lauf.

Letzte Verbindung

Vor rund zwei Jahren erreichte seine Krise einen weiteren Tiefpunkt. Infolge seines übermäßigen Alkoholkonsums musste das rechte Bein amputiert werden. Das nahm ihm jegliche Motivation. Placke beschloss, dass er seine weitere Zeit im Awo-Haus verbringen wollte, dort, wo seine Mutter einst gepflegt worden war. Für ihn war das Haus eine letzte Verbindung zu seinem früheren Ich.

Die Einrichtungsleiterin Elke Göken war jedoch skeptisch. Sie kannte Placke und wusste um die besonderen Herausforderungen im Umgang mit ihm. Unter strengen Bedingungen stellte sie seine Aufnahme in Aussicht – und Placke willigte in alle Vorgaben ein.

Im Mai 2024 wollte Placke dann aber nicht mehr weitermachen. Seine Beinprothese bremste ihn aus und er erinnerte sich daran, was er alles nicht konnte und nicht besaß. „Ich kann nicht mal nach Norddeich, mir ein Fischbrötchen holen“, sagt er. Er hätte zudem noch nie nüchtern mit einer Frau getanzt.

Ein Versprechen

Da kam Elke Göken auf ihn zu und wettete mit ihm: „Wenn er nicht aufgibt, keinen Alkohol mehr trinkt und weiter versucht, mit seiner Beinprothese zu laufen, werde ich mit ihm in einem Jahr in Norddeich tanzen – bei Matjes und Selters.“

Wolfgang Placke nahm die Wette an. Richtig rund läuft er mit seiner Prothese zwar noch immer nicht. Aber er hat, auch mit Unterstützung des Awo-Teams, gekämpft für diesen einen Augenblick mit Elke Göken. Und das seit ziemlich genau einem Jahr nüchtern. „Wenn man das will, dann schafft man das auch!“, sagt der 73-Jährige heute mit fester Überzeugung.

Er fieberte dem großen Tag der Wetteinlösung entgegen, in der Nacht zuvor fand er kaum Schlaf, war nervös.

Der große Augenblick

Am Strand von Norddeich erklang an diesem Tag dann das bekannte Lied „An der Nordseeküste“ aus einem mitgebrachten Lautsprecher, Placke wurde aus seinem Rollstuhl gehoben.

Und dann tanzte er Arm in Arm mit Göken, langsam und geführt. Aber er tanzte. Die Wette war erfüllt, er konnte die Tränchen nicht zurückhalten.

Dass auf dem Rückweg eine Möwe Plackes versprochenes Fischbrötchen aus der Hand klaute, gehörte fast zu dieser Situation, erhielt er dadurch doch eine weitere Erinnerung. „Ich bin jetzt frei“, sagt Placke. Und nicht mehr allein.