Wie lange gibt es noch Pferde auf Baltrum?
Sören Munier, Fuhrunternehmer auf der Insel Baltrum, liefert mit seiner Kutsche Lebensmittel zum Inselmarkt im Westdorf.
Baltrum Das Klappern von Pferdehufen unterbricht an diesem Sommermorgen die Stille um kurz nach 8 Uhr im Inselhafen von Baltrum. Sören Munier biegt mit seinem Pferdegespann auf das Hafengelände und bringt seine schwarzen Noriker-Pferde Elmar und Helios an der Kaikante zum Stehen. Von Ferien- und Tagesgästen ist so früh am Anleger noch nichts zu sehen, die erste Fähre wird erst am Mittag auf der Insel erwartet.
Aber der Fuhrunternehmer ist schon mit dem Verladen von Waren für die Baltrumer Konsumgenossenschaft, den Inselmarkt, beschäftigt. Getränke, Konserven, Taschentücher und Kartoffelchips hatte das Versorgungsschiff schon ganz früh palettenweise von Festland angeliefert. Auf der autofreien Insel Baltrum werden alle Transporte – ob Waren, Möbel, Müll, Baumaterialien oder Urlaubsgäste - hauptsächlich mit zwei PS und Kutschen bewältigt.
„Arbeit ist immer dann, wenn das Wasser da ist“, sagt der 29-Jährige mit Blick auf das Hochwasser in der Früh und lädt mit einem gelben Elektrogabelstapler eine Palette auf sein Tieflader-Gespann, das etwas abenteuerlich aussieht.
Baltrum und Juist gelten als Pferdeinseln
Die beiden Pferde in ihrem schwarz-silbernen Geschirr stehen währenddessen ruhig da und warten, dass ihr Anhänger beladen wird. Die Arbeitspferde dürften das Doppelte ihres eigenen Körpergewichts ziehen, erklärt Munier. An diesem Tag werden es allein für die Inselmarkt-Lieferung in mehreren Fuhren insgesamt sieben Tonnen sein. In der laufenden Hochsaison sind es dann auch schon mal zehn bis zwölf Tonnen, sagt der Kutscher.
Baltrum ist neben Juist eine der Inseln, wo noch viele Pferdekutschen das Inselleben prägen. Neben Fahrrädern und Handkarren fahren dort sonst nur Rettungsfahrzeuge und Fahrzeuge für den Inselschutz. Neben den Muniers gibt es noch zwei weitere Kutschbetriebe und eine Inselspedition mit Pferden. Manche Urlauber kämen gezielt wegen des Charmes der Pferdeinsel nach Baltrum, heißt es aus der Kurverwaltung.
Konkurrenz in Form von Elektro-Fahrzeugen
Doch wie lange wird es diese Tradition der Pferdeinseln noch geben, während E-Bikes und E-Lastkarren auf anderen Inseln schon mit einer einfacheren, individuelleren Form der Mobilität locken? Auf Baltrum sehe sein Betrieb, in dem auch seine Frau Anna und seine Mutter Inka arbeiten, eine Perspektive, erzählt Sören Munier, während er sein Gespann durch die leeren Straßen im Westdorf am Deich vorbei bis zum Inselmarkt steuert. Deshalb seien sie 2017 von ihrem ursprünglichen Sitz von Juist auch nach Baltrum gezogen.
Inselbürgermeister: Bleiben eine Pferdeinsel
Am Inselmarkt angekommen gibt es für Elmar und Helios Äpfel zur Belohnung. „Wenn ich da bin, bekommen sie immer Äpfel“, sagt eine Marktmitarbeiterin, während sie den Tieren das Obst gibt. Baltrum ganz ohne Kutschpferde möchte sich auch dort niemand vorstellen.
Auch im Rathaus ist es Thema, dass die Tradition der Pferdeinsel irgendwann einmal aufweichen könnte. Könnten etwa E-Lastenkarren die Pferdefuhrwerke mittelfristig ablösen? „Wir wollen eine Pferdeinsel bleiben“, stellt Bürgermeister Harm Olchers klar. Dafür gebe es auch eine Mehrheit im Rat der Insel. Bei dem Bau eines neuen Hallenbades sei einmal überlegt worden, das Baumaterial mit Lastwagen anliefern zu lassen, erzählt er. Am Ende entschied man sich doch, beim Pferdefuhrwerk zu bleiben.
Urlauber lieben das Getrappel
„Urlauber lieben das Getrappel“, weiß auch Olchers. „Was der Gast schätzt, ist die Ruhe. Kein Gestank von Kraftstoffen.“ Die Pferdekutschen hätten etwas Nostalgisches und seien nicht zuletzt ein beliebtes Urlaubsfotomotiv.
Allerdings sieht der Bürgermeister viele Auflagen und sonstige Dinge, die die Pferdehaltung auf der Insel zunehmend schwerer machten. Einfluss darauf könne die Inselgemeinde aber kaum nehmen. Das Gras auf den Pferdeweiden etwa werde zunehmend von Gänsen gefressen, nennt Olchers ein Beispiel. Dann müsse zugefüttert werden, was höhere Kosten für die Pferdehalter bedeute. Führerscheine und Kutschen-TÜV müssten vorgelegt werden und auch Züchter für die resoluten, kräftigen Arbeitspferde gebe es immer weniger, sagt Olchers.
Winterquartier auf dem Festland
Auch Sörens Frau Anna kennt die Herausforderungen der Kutschbetriebe. Sie ist später an diesem Tag mit einer Kutsche durch das Dorf unterwegs, um Feriengäste und Gepäck von Pensionen und Hotels abzuholen und zur Fähre zu bringen. Viele nehmen den Dienst gern in Anspruch - eine Fahrt kostet zwölf Euro für Erwachsene, neun Euro für Kinder.
„Hallo“, ruft Anna einer älteren Dame mit rotem Koffer zu, die vor dem Haus Leuchtfeuer schon wartet. „Ich hatte es auch schon, da sind die Leute panisch ins Haus gerannt und haben erst angefangen, Sachen zu packen.“ Das bringe den Zeitplan dann ordentlich durcheinander. Munier hilft der Dame auf die Kutsche, verstaut den Koffer und sitzt auf. „Achtung, es wackelt“, ruft sie über ihre Schulter nach hinten ihren Fahrgästen zu. Nach ihrem Kommando „Hopp, vorwärts“ setzt sich das Gespann in Bewegung.
Ohne Pferde gehe auf Baltrum nicht viel, sagt Anna Munier. Das ist das Gut, was wir hier noch haben. Auf anderen Inseln, wo es auch noch Pferde gibt, sieht man immer weniger.“ Auch die 38-Jährige berichtet davon, dass die Pferdehaltung schwieriger werde. Bald gehe der Hufschmied in Rente, wer dann regelmäßig auf die Insel komme, sei unklar.
Da auch Unterstellmöglichkeiten für die Tiere auf der Insel begrenzt seien, haben einige Pferde der Kutschbetriebe ein Winterquartier auf dem Festland. Die haben dann vier Monate All-inclusive-Urlaub“, sagt Munier. Spätestens mit Beginn der Urlaubssaison zu Ostern kehren die Pferde per Fähre auf die Insel zurück. Manchmal können Touristen dann das Manöver beobachten, wie die Kaltblüter mit offenen Transportboxen per Schiffskran an Bord gehoben werden.
Man kann schnell entschleunigen
Anna Munier hat sichtlich Spaß beim Kutsche fahren. „Man kann so schnell entschleunigen“, sagt sie, auch wenn sie wisse, dass die Tage in der Hochsaison lang werden können. Längst könne der Betrieb nicht mehr alle Fährankünften anfahren, erzählt die Kutscherin, die neben den Fahrten auch Haushalt, Kinder und Familienleben managt. „Irgendwann ist ein Tag auch mal um.“ Auf ihre Pferde könne sie sich immer verlassen - auch wenn ihre Arbeit spätestens nach acht Stunden endet. Für Sören und Anna Munier wird es ein längerer Arbeitstag.