Lebensretter-Tag

Wie lebt es sich mit einer Spenderniere?

Von Christian Schmidt

1992 musste Jens Stolle noch regelmäßig zur Dialyse nach Oldenburg.

Norden Im Jahr 1986 erhielt Jens Stolle die Diagnose chronische Nierenentzündung. Er war 16 Jahre alt, ein Jugendlicher wie viele andere, sah „Top Gun“ im Kino, spielte Fußball im Verein. Die Bestätigung, dass sich hinter seinen längeren Schmerzen eine ernste Erkrankung versteckte, war erst einmal ein Schock. Der Arzt sagte: „Wenn Sie Glück haben, verschlechtert sich der aktuelle Zustand nicht.“ Wenn sich die Werte verschlechterten, sei die Dialyse aber nicht zu verhindern.

Stolle war schon immer ein optimistischer Mensch und sah zuerst das Positive: „Okay, dann muss ich zumindest nicht zur Bundeswehr.“ Stattdessen begann er eine Ausbildung im Einzelhandel, plante später, als Kücheneinrichter durchzustarten.

Dialyse verhinderte den Berufswunsch

Fünf Jahre später, 1991, hatten sich seine Werte dann aber doch so verschlechtert, dass er zur Dialyse musste. „Ich musste dreimal wöchentlich von Barßel nach Oldenburg fahren und dann vier Stunden an die Dialyse“, erinnert er sich. Und dass er den neuen Job nicht antreten konnte. Man riet ihm, in Rente zu gehen. Mit 21 Jahren?! Für ihn keine Option.

Nach anderthalb Jahren stationärer Behandlung konnte er die Dialysemethode wechseln. Dank der Bauchfelldialyse konnte er sein Blut selbst und zu Hause reinigen. Dies ermöglichte ihm, in Hamburg eine Ausbildung zum Industriekaufmann zu absolvieren.

Mit dieser medizinischen Lösung lebte er weiter, bis 1995 das Telefon schellte. Der Anrufer aus Hannover vermeldete: „Herr Stolle, wir haben ein Organ für Sie.“ Ein Anruf, der keine Angst auslöste, sondern nur Vorfreude. „Das ist meine Chance“, dachte Stolle. Und alles musste schnell gehen. Noch am selben Tag wurde die Niere in der MHH Hannover transplantiert.

Zunächst funktionierte das Spenderorgan einwandfrei, aber nach einer Infektion kam es dann zu einer Abstoßung. Fast drei Monate verbrachte Jens Stolle in dem Hannoveraner Krankenhaus, bis die Werte sich stabilisiert hatten und er entlassen werden konnte. Seitdem lebt er ein relativ normales Leben.

Er hat eine Frau, zwei Kinder, ein Haus gebaut. Er mag Borussia Mönchengladbach und Motorräder. Seit 2007 ist er im SKN-Verlag als Regionalleiter tätig. „Viel verpasst habe ich nicht“, sagt er rückblickend. Natürlich gäbe es Tage, an denen er Zweifel, Sorgen und Ängste hätte. Unterm Strich habe er seinen Optimismus aber nie verloren.

Spenderniere arbeitet überdurchschnittlich lang

Die Spenderniere ist seit 29 Jahren in seinem Körper. Er nimmt viele Medikamente, die das Immunsystem herunterfahren, damit der Körper das Organ nicht als Fremdkörper erkennt und abstößt. Außerdem lebt er mit der Angst, dass die Niere nicht mehr funktionieren könnte, denn eine transplantierte Niere hält nicht ewig.

„29 Jahre sind schon eine enorm lange Zeit“, sagt er und verweist auf Statistiken, die sagen, dass eine transplantierte Niere bei gutem Verlauf 15 bis 20 Jahre funktioniert. Manchmal aber auch länger, wie man in seinem Fall sieht. Beim Treffen einer Gruppe von Organtransplantierten traf er eine Frau, die 40 Jahre mit einer neuen Niere lebt. Das macht Hoffnung.

Jeder sollte eine Entscheidung treffen

Dennoch bleibt seine Angst, dass das Organ eines Tages nicht mehr funktioniert. Dann beginnt alles von vorn. Er weiß, dass die Organspendenbereitschaft zu gering ist für die Zahl der Wartenden. „Solange Menschen nicht betroffen sind, machen sie sich über das Thema keine Gedanken“, erzählt Stolle. Und fordert, dass jeder 18-Jährige sich zu einem gewissen Zeitpunkt entscheiden muss, ob er Organspender werden möchte oder nicht.

„Es ist okay, wenn jemand nicht spenden möchte“, sagt er. „Aber jeder sollte mit der Frage konfrontiert werden. Vielleicht bei der Führerscheinprüfung oder beim Hausarzt.“ So könnte die große Versorgungslücke ein Stück weit geschlossen werden.

Jens Stolle hat Glück gehabt. Das weiß er. „Dem Spender bin unendlich dankbar, dass er sich zu Lebzeiten für einen Organspendeausweis entschlossen hatte, und mir somit ein fast ‚normales‘ Leben schenkte“, sagt er demütig – und hofft, dass sich noch viel mehr Menschen für diesen Schritt entscheiden.