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8. November 2024, 12:22 Uhr

Hager Mordprozess geht weiter: „Ein wehrloses Opfer“

Nachbarn und Freundinnen berichten über die 65-jährige Frau aus Hage, die später umgebracht wurde

Lesedauer: ca. 3min 22sec
Im Landgericht Aurich wurde weiter verhandelt. Foto: Ute Bruns

Im Landgericht Aurich wurde weiter verhandelt. Foto: Ute Bruns © Bruns ubr

Hage Im Prozess um den gewaltsamen Tod einer 65-jährigen Hagerin, stand am vierten Verhandlungstag beim Landgericht Aurich das Opfer im Mittelpunkt des Interesses. Der direkte Nachbar, zwei Freundinnen und der Bruder der Getöteten beschrieben das Leben und den Charakter der Frau.

Die beiden Freundinnen hatten offenbar den besten Draht zu der 65-Jährigen. Ihnen gegenüber berichtete das Opfer vertrauensvoll von Sorgen, Ängsten und Nöten. Die Zeuginnen waren aber nicht nur gute Zuhörerinnen, sondern unterstützten die Rentnerin auch so gut es ging. „Wir haben auch über allgemeine Dinge gesprochen, darüber ob sie noch genug zu essen und zu trinken hatte oder ob sie finanzielle Unterstützung brauchte“, erzählte die 40-jährige Freundin. Denn viel zum Leben hatte die 65-Jährige nicht.

Die beiden Frauen hatten sich bei Spaziergängen mit ihren Hunden kennengelernt und nach und nach das Vertrauensverhältnis entwickelt. Dennoch hatte sie den Angeklagten, der mehrere Monate bei dem Opfer gelebt hatte, nur einmal gesehen. „Ich bin zu meiner Freundin, um ihr meinen neuen Hund zu zeigen. Da hat sie ihn rausgerufen“, erinnerte sich die Zeugin. Der Angeklagte habe nur dagestanden und nicht geredet, aber kein auffälliges Verhalten gezeigt. Eine Liebesbeziehung habe es zwischen dem Angeklagten und ihrer Freundin aber nicht gegeben, war sich die Zeugin sicher.

Von der prekären finanziellen Lage wusste auch die zweite Freundin. Beide Zeuginnen berichteten vom schlechten gesundheitlichen Zustand des Opfers. Seit dem Tod ihres Hundes sei die 65-Jährige kaum noch rausgegangen, dazu aber auch nicht mehr so recht in der Lage gewesen. „Sie bekam keine Luft und hatte starken Husten. Es klang, als hätte sie Wasser in der Lunge“, schilderte die 56-jährige Freundin. Sie hatte dem späteren Opfer zum Weihnachtsfest 2023 einen Rollator geschenkt, weil sich ihre Freundin kaum noch bewegen konnte.

Ihr gegenüber hatte die 65-Jährige auch mehr über den Angeklagten erzählt. Der wohne bei ihr, bis er im Herbst 2023 seine eigene Wohnung bekomme. „Sie sagte, er würde sich sehr liebevoll und freundlich verhalten, sie mit Essen und Trinken versorgen“, berichtete die 56-jährige Zeugin. Angst habe das spätere Opfer nicht vor ihm gehabt. Ihre Freundin sei sehr ehrlich und direkt – und dabei wenig diplomatisch gewesen, sagte die Zeugin.

Die 56-Jährige kannte auch den Angeklagten und hatte mit ihm über Messengerdienste Kontakt, nachdem ihre Freundin tot aufgefunden worden war. „Ich versuchte ihm etwas zu entlocken. Aber er hat geblockt, war abweisend. So war er mir gegenüber vorher nicht“, erinnerte sie sich.

Alle Zeugen berichteten übereinstimmend, dass die getötete Hagerin sehr zurückgezogen lebte. Das Verhältnis zu ihrem Bruder war nicht gut. „Wir haben manchmal heftig gestritten“, beschrieb der Bruder, der auch Nebenkläger ist, die schwierige Beziehung. „Wenn sie etwas von mir wollte und nicht bekam, wurde sie patzig und drehte sich auf dem Absatz um“, beschrieb er das Verhältnis. Den Angeklagten habe ihm seine Schwester nicht vorstellen wollen.

Das Verhältnis des direkten Nachbarn zum Opfer beschränkte sich auf Small Talk. Der 54-Jährige wusste aber, dass sich der Angeklagte in den letzten Wochen vor ihrem Tod öfter bei seiner Nachbarin aufgehalten habe. Etwa eine Woche vor der Tat hörte er nachts lautes Poltern in ihrer Wohnung, ignorierte es aber. „Ich habe mir am nächsten Morgen bei der Arbeit Vorwürfe gemacht, dass ich nicht nachgesehen habe und deshalb einen anderen Nachbarn angerufen. Der hat bei ihr geklingelt. Sie sagte, es sei alles in Ordnung, hat die Tür aber nicht aufgemacht“, zeigte sich der Zeuge sehr offen.

Besonders beeindruckend war an diesem Tag die Anmerkung der 40-jährigen Freundin des Opfers in Richtung der Kammer. „Ich will noch sagen: Sie war nicht schnell, sie bekam keine Luft, sie war doppelt so alt wie der Angeklagte. Sie konnte sich nicht wehren, sie war ein leichtes Opfer. Ich möchte, dass Sie das wissen.“

Dieses Wissen ist angesichts der ausufernden Brutalität, mit der die 65-Jährige getötet wurde, besonders schmerzhaft.

Hintergrund: Das ist der Fall:

Eher zufällig entdeckte ein Handwerker am 23. Januar mit Blick durch eine Katzenklappe den Körper einer 65-jährigen Frau, die leblos in ihrem Haus in Hage lag. Die Obduktion ergab, dass sie Opfer eines brutalen Gewaltverbrechens wurde.

Die Tat soll ein 32-jähriger Bekannter des Opfers begangen haben. Gegen ihn wird vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aurich wegen Totschlags verhandelt. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich einen Mord mit dem Mordmerkmal besonderer Grausamkeit angeklagt.

Der Angeklagte bestreitet die Tat.

Er soll an einer paranoiden Schizophrenie leiden und wurde deshalb im August von der Untersuchungshaft in eine psychiatrische Klinik verlegt.

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