Das Interview: Wie Auto-Cheflobbyistin Hildegard Müller auch VW wiederbeleben will
Zu teurer Strom, zu viele Regulierungen seitens der Behörden und eine schlechte Ladeinfrastruktur: Hildegard Müller, Chefin des Verbandes der Automobilindustrie, sieht die Gründe für die derzeit schlechte Lage der Elektromobilität vornehmlich bei anderen. Lesen Sie hier das ganze Interview!
Lesedauer: ca. 6min 04secEmden Am Mittwoch ist Hildegard Müller beim ostfriesischen Arbeitgeberverband in Emden zu Gast. Sie ist Chefin des Verbandes der Automobilhersteller – und damit auch deren oberste Lobbyistin. Ihr Vortrag im Club zum Guten Endzweck wird im Autoland Ostfriesland mit Spannung erwartet. Dem KURIER beantwortete sie vorab schon einmal einige Fragen:
Ganz Ostfriesland schaut bang nach Emden, denn dort produziert VW. Kurzarbeit, Schichtausfälle, Schließ-Tage: Welches Problem hat die Branche eigentlich gerade?
Die Automobilbranche ist inmitten einer gewaltigen Transformation, das sieht man natürlich auch in Emden. An den Umbauarbeiten im VW-Werk oder den Qualifizierungsmaßnahmen für die Beschäftigten ist aber auch zu erkennen, wie die Branche den Wandel mit Innovationen und Investitionen entschlossen vorantreibt. Ich sehe täglich wie engagiert und mit wie viel Erfindergeist unsere Unternehmen diese Herausforderung angehen. Von 2024 bis 2028 werden die Hersteller und Zulieferer der deutschen Automobilindustrie weltweit rund 280 Milliarden in Forschung und Entwicklung investieren, weitere 130 Milliarden in den Neu- und Umbau von Werken. Doch das, was für eine erfolgreiche Transformation, für Wachstum und Wohlstand, von zentraler Bedeutung ist, ist zu unserer größten Schwachstelle geworden. Ein wettbewerbsfähiger, attraktiver, weltweit begehrter Standort. Im zurückliegenden Jahr sind wir in vielen wichtigen Punkten nicht entscheidend weitergekommen: weder bei wettbewerbsfähigen Energiepreisen, bei einem wettbewerbsfähigen Steuersystem oder auch beimThema Bürokratieabbau. Rohstoff- und Energiepartnerschaften wurden kaum geschlossen, bei Freihandelsabkommen geht es praktisch nicht voran. Der gerade veröffentlichte Jahreswirtschaftsbericht zeigt auf schonungslose Weise, dass die sinkende Attraktivität des Standorts Deutschland zu einem immer größeren Problem wird. Der Handlungsbedarf ist enorm - die Dringlichkeit von Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit ist in Wirtschaft und Wissenschaft unumstritten, Nur fehlt es in der Politik in Berlin und Brüssel an Einigkeit, Entschlossenheit und Strategie. Und stellenweise bleibt es bei Ankündigungen statt konkreter Umsetzung.
Die deutschen Hersteller – BMW, Mercedes und auch VW – sind hochpreisig in die E-Mobilität eingestiegen, anstatt Fahrzeuge für die Masse zu bieten. War das ein strategischer Fehler?
Widerspruch. Rund jeder zweite E-Kleinwagen, der in Deutschland neu zugelassen wird, stammt von einem deutschen Hersteller. Und: Unsere Hersteller haben darüber hinaus für die sehr nahe Zukunft günstigere Modelle angekündigt. Ich weiß, dass die Preise aktuell noch herausfordernd sind, aber Skaleneffekte und Technologiesprünge werden dazu führen, dass die Kosten weiter sinken werden. Nicht zu vergessen dabei: Schon jetzt sind die laufenden Kosten beim E-Auto bei vergleichbarem Modell geringer als beim Verbrenner. Unsere Hersteller bedienen mit ihrem Angebot, das vom Kleinwagen über die Mittelklasse bis hin zum SUV reicht, die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher. Weltweit bieten wir aktuell etwa 130 E-Modelle in allen Segmenten an. Und die Modellpalette wird beständig erweitert, sodass für jeden Bedarf etwas dabei ist. Nicht zu vergessen: Wir produzieren hierzulande in der Regel zu deutlich höheren Kosten als die Wettbewerber aus dem Ausland. Neben Lohnkosten betrifft das vor allem die Kosten für Energie, Steuern oder auch Bürokratie. Nochmals: Hier muss der Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden.
Wenn ein ganzer Zweig einer Industrie – die E-Mobilität – nur einen ordentlichen Absatz findet, wenn der Staat massiv zuschießt mit Prämien: Läuft dann nicht etwas falsch?
Deutschland ist die europäische Herzkammer der E-Autoproduktion und zweitwichtigster E-Standort weltweit. Bei uns werden die Autos der Zukunft gebaut und das für die ganze Welt. Und wir wollen, dass das so bleibt. Gleichzeitig gilt: Die E-Mobilitätsziele wurden politisch gesetzt - ohne dass die dafür notwendigen Rahmenbedingungen und strategischen Voraussetzungen mitgedacht und forciert wurden. Beispiel Ladeinfrastruktur: Hier muss die Geschwindigkeit beim Ausbau deutlich erhöht werden - und zwar in der Stadt und auf dem Land. Die Verfügbarkeit von Ladesäulen ist ein entscheidendes Kriterium beim Kauf eines E-Autos. Unser Engagement, unsere Investitionen habe ich schon verdeutlicht - und ich kann Ihnen auch versichern: Allein die deutschen Hersteller werden bis zum Jahr 2030 deutlich mehr als 15 Millionen E-Autos produzieren. In welchen Märkten sie abgesetzt und wo sie gebaut werden, hängt von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab - und hier läuft tatsächlich in Deutschland einiges falsch. Wir brauchen eine moderne Mischung aus marktorientierter Wirtschaftspolitik und gestaltender Industriepolitik - gerade mit Blick auf internationale Entwicklungen. Unsere Unternehmen dürfen nicht weiter von Bürokratie, Abgaben, Steuern oder langen Planungs- und Genehmigungsverfahren erdrückt werden. Wir brauchen hier zeitnah Entlastungen. Als Autoindustrie wollen wir unsere Erfolgsgeschichte hierzulande weiterschreiben. Deswegen werde ich nicht müde, immer wieder mehr Wettbewerbsfähigkeit einzufordern. Wir brauchen ein massives Reformprogramm, einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik.
Wünschen Sich eine Fortsetzung der E-Auto-Kaufprämien – und wenn ja: Zu welchen Bedingungen?
Quasi über Nacht die Förderungen zu beenden, war eine gravierende Fehlentscheidung der Politik und hat zu erheblichen und nachhaltigen Verunsicherungen bei Verbrauchern und Unternehmen geführt. Viele Hersteller haben sich daher entschieden, den fehlenden Anteil des Staats vorübergehend zu kompensieren, um den Menschen die Sicherheit zu geben, auf die sie sich verlassen haben. Das ist aber natürlich keine dauerhafte Möglichkeit. Wichtiger ist jetzt der Blick in die Zukunft: Es ist entscheidend, das Vertrauen der Menschen in die Elektromobilität generell zu stärken und zum Umstieg zu motivieren. Deswegen wünsche ich mir, dass sich Deutschland endlich entschlossen den grundsätzlichen Rahmenbedingungen widmet: Die öffentliche Ladeinfrastruktur muss noch konsequenter ausgebaut und die Stromnetze fit für die Zukunft gemacht werden. Und: Die hohen Strompreise dürfen nicht zur Bremse werden – weder für den Industriestandort Deutschland noch für den Hochlauf der E-Mobilität. Der Strompreis muss dauerhaft und wirkungsvoll reduziert werden: Dafür müssen die Erzeugungskapazitäten ausgeweitet und generell Steuern, Entgelte und Umlagen im Energiebereich auf den Prüfstand gestellt werden. Und natürlich müssen wir, müssen unsere Unternehmen mit ihren Produkten und Lösungen für die E-Mobilität begeistern. Dass wir das können, haben wir zuletzt bei der IAA MOBILITY in München oder auch bei der Elektronikmesse CES in Las Vegas auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Schaut man sich den ID.3 und den ID.4 an, dann sieht man viel graues Plastik zu extrem hohen Preisen. Haben es die Automobilhersteller verschlafen, mit der E-Mobilität auch eine neue Fahrzeuggattung zu erschaffen, die sich von den Verbrennern fundamental unterscheidet und bestenfalls auch ein bisschen sexy ist?
Die Realität sieht anders aus: Wenn Sie sich die Publikumsreaktionen auf den gerade genannten Messen ansehen, wurde sehr deutlich: Deutsche Autos begeistern und sind weiterhin der Maßstab. Die Innovationskraft unserer Unternehmen ist unser Erfolgsrezept – für die Transformation und unseren Wohlstand. Wir ergreifen die Chance, unsere Tradition weiterzuentwickeln – und gleichzeitig Pioniere zu sein, mit dem Anspruch langfristig zu gestalten. Unsere Unternehmen sind in allen Innovations-Rankings weiterhin auf den vordersten Plätzen. Kommen Sie gerne auf die nächste IAA und Sie werden auch dort sehen, wie innovativ unsere Branche ist.
Mit Verlaub, das stimmt doch nicht: Im weltweit wichtigsten Markt China sind deutsche E-Autos Ladenhüter, weil sie eben nicht als innovativ wahrgenommen werden und zu teuer sind. Die Marktanteile wachsen in homöopathischen Dosen. Nehmen die Unternehmen das gar nicht ernst?
Betrachten wir doch die Fakten: Nachdem die deutschen Hersteller im Jahr 2022 noch 302.800 E-Autos in China abgesetzt haben, waren es im vergangenen Jahr 396.200 E-Autos. Davon waren allein 317.300 BEVs, also Fahrzeuge, die ausschließlich von einer Batterie angetrieben werden. Wir sprechen bei den BEVs von einem Plus von 53 Prozent gegenüber 2022. Bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen stieg der Marktanteil der deutschen Hersteller somit von 5,2 auf 6,5 Prozent und das in einem stark wachsenden Markt. Natürlich ist unser Anspruch, unsere Marktanteile auszubauen. Dadurch, dass wir schon in der Produktentwicklung entsprechende Prozesse etablieren, die sicherstellen, dass wir die Bedürfnisse der chinesischen Verbraucherinnen und Verbrauchern genau erkennen und entsprechend in allen Schritten kreativ und zukunftsorientiert integrieren, bin ich trotz des großen Wettbewerbs und der Subventionen, die in China für die heimische Industrie gezahlt werden, zuversichtlich.
Chinesische Autos haben ein völlig anderes Konzept: Mehr Entertainment, mehr Computer, mehr Gimmicks, bessere Assistenten – und nebenbei bringen sie einen noch von A nach B. Hätten deutsche Hersteller diesen Weg gehen sollen?
Der Kunde in China hat eine andere Erwartung an das Auto als wir in Europa. In China ist das Auto häufig ein Ort für „Me-Time“. Wenn der Wohnraum begrenzt, der Arbeitsplatz voll ist, erledigen sie in ihrem Auto andere Dinge. Dort bleiben die Menschen nach der beendeten Fahrt gerne noch im Auto, schauen einen Film zu Ende, oder bearbeiten noch ihre Mails. Europäische Kunden legen mehr Wert auf Komfort, Effizienz und Sicherheit. Wenn wir in Zukunft autonom fahren, dann werden wir das Auto auch noch einmal ganz anders denken. Und beim autonomen Fahren sind unsere Hersteller weltweit führend. Wir sprechen auf den unterschiedlichen Märken natürlich die unterschiedlichen Bedürfnisse an, entwickeln zielgruppenorientierte Lösungen und Innovationen.
Tesla ist Marktführer, viele chinesische Marken holen rasant auf. Muss sich die deutsche Automobilindustrie an den Gedanken gewöhnen, nicht mehr spitze in der Welt zu sein?
Klare Antwort: Nein. Manchmal glaube ich, nur wir reden uns selber schlecht. Dabei sind wir erfolgreich und weltweit führend – sei es zum Beispiel beim automatisierten Fahren oder in Sachen Kreislaufwirtschaft. Wir können Innovation: Nicht umsonst liegen unsere Unternehmen bei Patentanmeldungen für Zukunftstechnologien international auf den vordersten Plätzen. Deutsche Autos, Nutzfahrzeuge und auch Zulieferer genießen hohes Ansehen, weltweit. Unsere Marken stehen für Tradition und innovative Technologieführerschaft. Die deutschen Autokonzerne wie auch der automobile Mittelstand stehen für Pioniergeist, Qualität, herausragende Marken und jahrzehntelange Erfahrungen und Erfolge. Wir werden alles dafür tun, damit das so bleibt.
Sie dürfen sich ein Auto aus der VW-Modellpalette kaufen, Geld spielt keine Rolle: Welches würden Sie wählen und warum?
Netter Versuch (lacht). Was ich verraten kann: Ich bin aktuell mit einem Hybridauto unterwegs – beruflich und privat.