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23. Februar 2024, 10:00 Uhr

Der Vergewaltiger sieht sich selbst als Opfer

Angeblich haben sich alle gegen ihn verschworen. Mit dieser Geschichte versuchte der 55-Jährige, das Gericht zu überzeugen. Doch die Richter glaubten ihm kein Wort. Weil er seine Stieftochter missbrauchte hat, geht er ins Gefängnis.

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Pädokriminalität ist nicht nur in Deutschland ein großes Problem.

Pädokriminalität ist nicht nur in Deutschland ein großes Problem. © dpa

Aurich Eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren sprach das Landgericht Aurich wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Schutzbefohlenen gegen einen 55-jährigen Wilhelmshavener aus. Die Richter waren davon überzeugt, dass der Angeklagte sich von 2007 bis 2010 an seiner Stieftochter verging, als die Familie in Wittmund lebte. Auch eine Freundin des Mädchens wurde Opfer einer sexuellen Nötigung.

Der Angeklagte bestritt die Taten und sah sich selbst als Opfer einer Intrige, die von seiner Ex-Frau initiiert worden sei. „Wir können die Hypothese sicher verwerfen, dass eine Intrige geschmiedet wurde“, war Richter Bastian Witte nach der Beweisaufnahme überzeugt.

Zu diesem Schluss kam die Kammer, nachdem viele Zeugen gehört wurden. Es war insbesondere das Zustandekommen der Anzeigen, die gegen den Angeklagten erstattet wurden. Denn zunächst hatte sich die Freundin der Stieftochter an die Polizei gewandt. Ihr war erst nach einem Gespräch mit einer anderen Freundin, die von eigenen Missbrauchserlebnissen berichtet hatte, klargeworden, dass sie selbst Ähnliches erlebt hatte. Sie wollte seinerzeit die Stieftochter des Angeklagten besuchen. Doch der 55-Jährige war allein zu Hause und lockte das Mädchen ins Schlafzimmer, um ihm einen Film zu zeigen. Das Mädchen wehrte sich gegen seine Übergriffe, woraufhin er sie festhielt. Doch dem Kind gelang es, aus der Wohnung zu flüchten.

Als die Polizei sich mit dem Fall der Freundin befasste, wurde auch die Stieftochter befragt. Während der Vernehmung brach sie zusammen und berichtete von den eigenen Missbrauchserlebnissen, bei denen sie keine Möglichkeit der Flucht hatte. In fünf Fällen, so urteilte das Landgericht, handelte es sich sogar um schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Schutzbefohlenen. Auch andere Zeuginnen berichteten von unangemessenem Verhalten des Angeklagten als Betreuer während einer Jugendfreizeit.

„Wenn alle Mädchen gleichzeitig zur Polizei gelaufen wären und Anzeige erstattet hätten, wäre es komisch gewesen“, meinte der Vorsitzende. „Aber so war es ja nicht.“ Die Aussage, die die Stieftochter vor Gericht gemacht hatte, sei zudem sehr differenziert und mit Details versehen gewesen. Dass die Ex-Frau einen Groll gegen den Angeklagten hegte, weil er ihr bei der Trennung nur lauter Rechnungen hinterließ, sah das Gericht durchaus. „Wir halten es aber auch nicht für naheliegend, dass Ihre Frau so viel Zeit hatte, das alles anzuleiern“, erklärte Richter Witte. Bei einer Intrige hätte sie viel zu viele Personen einbinden und auf die angebliche Lüge einschwören müssen. Das halte er für unmöglich.

Auch der Einwand des Angeklagten, dass er wegen einer schmerzhaften Vorhautverengung kaum zum Geschlechtsverkehr fähig gewesen sei, fiel in sich zusammen. Ein sachverständiger Oberarzt aus dem Klinikum Oldenburg hatte den Angeklagten untersucht und festgestellt, dass die Anomalie nicht besonders schwerwiegend sei. Außerdem hatte sich der Angeklagte im Erwachsenenalter nie deswegen behandeln lassen. „Sie sagten selbst: ‚Es gab keine Probleme“, hielt der Vorsitzende dem Wilhelmshavener vor.

„Uns ist bewusst“, fuhr Richter Witte fort, „dass es nicht das Ergebnis ist, mit dem Sie gerechnet haben. Aber es ist nach unserer Ansicht das richtige Ergebnis.“ Weil es ein Jahr brauchte, bis das Landgericht den Fall verhandelt hat, gilt ein Monat der ausgeurteilten fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe als vollstreckt.

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