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6. Januar 2024, 12:30 Uhr

Die Landwirte sollen sich „nicht schäbig benutzen lassen!“

Wie Johann Saathoff (SPD) über die Demos der Landwirte denkt, die Vereinnahmungsversuche der AfD und weshalb er sich wünscht, dass die Ampel doch noch die Schuldenbremse aussetzt.

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Johann Saathoff im Bundestag. Er hat Verständnis für die Aktionen der Landwirte und glaubt, dass Berlin noch weitere Zugeständnisse machen könnte.

Johann Saathoff im Bundestag. Er hat Verständnis für die Aktionen der Landwirte und glaubt, dass Berlin noch weitere Zugeständnisse machen könnte. © Arne Immanuel Bänsch/dpa

Ostfriesland Johann Saathoff ist Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium – und damit eher nicht mit den Forderungen der Landwirte beschäftigt. Da er aber als Berufsostfriese in Berlin die Fahne hochhält – und umgekehrt die Berliner Fahne in Ostfriesland, haben wir mit ihm über die anstehenden Bauernproteste gesprochen:

Herr Saathoff, die Landwirte fordern den Beibehalt ihrer Subventionen und wollen dafür am Montag ganz Ostfriesland lahmlegen. Geht das zu weit?

In einer Demokratie kann zunächst einmal jeder frei seine Meinung äußern – auch in Form von Demonstrationen. Die Proteste der Landwirte kann ich nachvollziehen, wir haben so etwas in der Vergangenheit ja auch immer wieder mal erlebt. Ich habe also grundsätzlich Verständnis für die Aktionen.

Nun ist die Ampel am Donnerstag zurückgerudert und hat wenigstens die neue Kfz-Steuer für Landwirte abgesagt. Die Dieselsubventionen werden dagegen trotzdem langsam erhöht. Hätte man nicht erwarten können, dass der Bauernverband diese positiven Zeichen versteht und die Proteste abmildert?

Ich habe in den letzten Wochen in meinen Gesprächen auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Landwirtschaft immer wieder darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Einhaltung der Schuldenbremse noch nicht parlamentarisch beraten wurden. Dazu gab es nun einige Diskussionen, in die ich mich auch aktiv eingebracht habe und nun liegt dazu ein neuer Vorschlag der Bundesregierung vor, der aber auch noch nicht parlamentarisch beraten wurde. Ob man nun trotzdem seitens der Landwirtschaft die Notwendigkeit zu Demonstrationen sieht, liegt bei den Vertreterinnen und Vertretern der Landwirtschaft. Aus meinen Gesprächen haben ich mitgenommen, dass es nicht „nur“ um Agrardiesel und Kfz-Steuer geht, sondern vor allem um die Wertschätzung der Menschen, die für uns wichtige Nahrungsmittel produzieren. Das verstehe ich gut aus den jeweiligen Diskussionen zu landwirtschaftlichen Themen der letzten Jahre.

Aus dem ehemaligen Protest der Bauern ist inzwischen – wenigstens in Emden – eine Gemengelage entstanden. Es wurde eine Demo angemeldet, die ganz klar das Ziel hat, die Ampel-Regierung in Berlin zu stürzen. Ist da etwas aus dem Ruder gelaufen?

Es macht mir große Sorgen, dass diverse Organisationen mit zweifelhaften Zielen sich nicht „einfach“ nur den landwirtschaftlichen Protesten anschließen, sondern deren Forderungen für ihre eigenen, ganz anders zu definierenden Ziele ausnutzen und somit die Landwirtinnen und Landwirte vor ihren Karren spannen. Und ich bin zuversichtlich, dass diese aber ausreichend aufmerksam sind und sich nicht in dieser schäbigen Weise benutzen lassen.

Mit vielen ihrer jüngsten Beschlüsse greift die Ampel-Regierung jedem einzelnen Bürger ins Portemonnaie, nicht nur den Landwirten. Dazu der Wärmepumpen-Reinfall... Können Sie verstehen, dass manche Menschen enttäuscht sind von der Ampel?

Natürlich können die Menschen gegen die Regierung oder gegen Maßnahmen der Regierung protestieren. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass die Menschen beim ersten Vorschlag aus der Bundesregierung, der einem persönlich nicht passt, zur Politikverdrossenheit (manchmal gar Demokratieverdrossenheit) neigen. Dabei hat sich dann das Parlament mit der Angelegenheit noch gar nicht beschäftigt. Politik ist Teil der Lösung politischer Probleme, nicht Teil des Problems selbst. Dafür ist das von Ihnen gewählte Wärmepumpengesetz ein gutes Beispiel. Am Ende wurde etwas ganz anderes (und allgemein akzeptiertes!) Gesetz beschlossen als das, was Herr Habeck vorgelegt hatte. Ich bin selbst nach wie vor der Meinung, dass wir die Schuldenbremse auch in 2024 hätten aussetzen sollen und können, mindestens hätte man aber die Rahmenbedingungen der Schuldenbremse modifizieren müssen. Die Rahmenbedingungen sind mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den damit verbundenen wirtschaftlichen Verwerfungen sowie mit den Folgen des menschengemachten Klimawandels, die wir aktuell bei den Hochwassern sehen, dramatisch. Deutschland hat verglichen mit anderen westlichen Staaten eine niedrige Staatsverschuldungsquote, daher wäre eine weitere Verschiebung der Einhaltung der Schuldenbremse nicht nur begründbar, sondern auch gegenüber nachfolgenden Generationen verantwortbar.

Das hätte geheißen, dass viele von den Mehrkosten, die jetzt auf die Menschen zukommen, nicht nötig gewesen wären. Haben Sie denn wirklich Hoffnung, dass sich in Sachen Schuldenbremse noch etwas tut?

Ich hoffe jedenfalls, dass sich bis zum Beschluss des Bundeshaushalts 2024 noch weitere Änderungen ergeben. Das habe ich auch den Menschen in den vergangenen Wochen gesagt und hat sich ja auch bereits bewahrheitet. Wie gesagt: Politik ist Teil des Lösung politischer Probleme!

Sie wohnen in der Krummhörn, einem der wichtigsten landwirtschaftlichen Gebiete in Ostfriesland. Was sagen Ihnen Ihre Nachbarn, die Bauern?

Ich spreche seit jeher viel mit den Landwirten in Ostfriesland, zuletzt gerade erst vor Weihnachten. Einige meiner Freunde sind Landwirte oder in der Landwirtschaft beschäftigt. Mir war schon vorher völlig klar, dass die Streichung der Steuervergünstigungen für die Betriebe eine große Belastung darstellen würde. Das habe ich unter anderem in meiner Funktion als Vorsitzender der SPD-Landesgruppe Niedersachsen/Bremen auch in Berlin bei vielen Gesprächen deutlich gemacht. Das erste Ergebnis dazu liegt ja bereits vor.

Aber Sie waren mit Ihrer Meinung offenbar allein, sonst wäre es nicht so gekommen...

Nein viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion sahen diese Maßnahmen genau wie ich von Anfang an eher kritisch. Deshalb freut es mich, dass wir letztlich doch Gehör finden konnten und diese Pläne nun stark abgewandelt wurden. So soll die Begünstigung landwirtschaftlicher Fahrzeuge bei der Kfz-Steuer nun bestehen bleiben und die Streichung der Agrardiesel-Rückerstattung soll schrittweise erfolgen, damit sich die Landwirtschaft darauf einstellen kann.

Was heißt das ganz praktisch für die Landwirte?

Im ersten Schritt in 2024 soll der Entlastungssatz beim Agrardiesel um 40 Prozent reduziert werden, das heißt, die Belastung ist in diesem Jahr nicht so hoch wie ursprünglich geplant. Insgesamt begrüße ich diese Veränderungen, belasten sie doch landwirtschaftliche Betriebe deutlich weniger und sind insgesamt besser planbar.

Glauben Sie, dass der aktuelle Vorschlag mehrheitsfähig ist in der oft uneinigen Ampel?

Diese Regelung muss noch eine parlamentarische Mehrheit finden und ich werde mich weiterhin aktiv in die Diskussion einbringen. Das letzte Wort ist dazu sicher noch nicht gesprochen.

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