Die Nordsee wird zu wenig geschützt
Klimagruppe lädt zu Vortrag von Dr. Irit Ittner ein – Borkum durch Gasförderung gefährdet
Lesedauer: ca. 3min 07secNorden Das Meer ist unerlässlich für den Klimaschutz, aber selbst alles andere als ausreichend geschützt. Diese alarmierende Erkenntnis gewannen die Teilnehmer einer Vortragsveranstaltung mit Dr. Irit Ittner über Schutz und Nutzung der Nordsee, zu der die Klimagruppe Norden in das Bildungszentrum der Kreisvolkshochschule Norden eingeladen hatte. Andreas Hartig, der die Moderation übernommen hatte, konnte auch Gäste aus Emden und von Borkum begrüßen. Ittner beschäftigt sich seit zwei Jahren mit Meeresforschung am German Institute of Development and Sustainability (IDOS), das 1964 als Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) gGmbh gegründet worden war.
„Meer und Klima geht zusammen“, betonte sie zu Beginn. „Das Meer hilft uns, mit der Klimakrise umzugehen.“ Die Hälfte des Sauerstoffs, der seit 1970 produziert worden war, stamme aus dem Meer. Auch werde die überschüssige Wärme-Energie zu 90 Prozent vom Meer aufgenommen. Aber das Meer selbst sei in einem sehr schlechten Zustand.
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Mit Schautafeln führte Ittner vor Augen, dass 30 Prozent der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in Nord- und Ostsee und insgesamt 45 Prozent der deutschen Meeresgebiete unter Schutz stehen. Doch obwohl der Meeresschutz politische Priorität hat, fehlen Management-Pläne für die Schutzgebiete, hapert es mit der Erarbeitung und Umsetzung. So forderten die deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) 2020 eine Meeresoffensive von der Bundesregierung. „Die Ziele sollten bis 2020 umgesetzt werden – das ist natürlich nicht passiert“, bedauerte Ittner.
Altmunition im Meer
Im Koalitionsvertrag haben die Ampelfraktionen die Bergung und Vernichtung von 1,6 Millionen Tonnen Altmunition aus Nord- und Ostsee vereinbart und im September 2022 den renommierten Meeresbiologen Sebastian Unger zum ersten Meeresbeauftragten ernannt. Doch ist die Nordsee nicht nur durch die auf dem Meeresgrund korrodierenden Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg bedroht, sondern auch durch Öl- und Gasbohrungen, die in Deutschland nicht mehr genehmigt werden, wohl aber in den benachbarten Niederlanden.
Über die Auswirkungen informierte eine der Schautafeln wie folgt: „Die Offshore-Erdöllandschaft (petroleumscape) hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem sie die Nordsee in eine Energielandschaft (energy seascape) verwandelt hat, die angeeignet, renoviert und auf erneuerbare Energien ausgerichtet wird, während gleichzeitig Optimierungsprozesse die letzten Kohlenwasserstoffe aus den bestehenden Feldern herausholen und andere Substanzen finden, die in die ausgehöhlten Unterwasserräume injiziert werden können.“
„Die Nutzung der Meere nimmt extrem zu“, stellte Ittner fest und wies unter anderem auf den Ausbau der Windenergie und CCS (Carbon Capture and Storage) hin. Mit Letzterem ist die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund gemeint, die nach Experten-Meinung notwendig ist, um bis 2040 klimaneutral zu werden. Bereits heute deckt Deutschland zehn Prozent seines Strombedarfs mit Offshore-Windkraft; weitere Windfarmen sind an und in Schutzgebieten geplant.
Bei dem Ausbau erneuerbarer Energien bleibt allerdings der marine Artenschutz auf der Strecke.
Steinriffe in Gefahr
Mehrere Schaubilder führten vor Augen, wie sehr die Schutzgebiete von den diversen Nutzungen beeinträchtigt werden – trotz „Einklang Vision“ der Bundesregierung. Das gilt insbesondere für Borkumriff und Borkum Riffgrund, wo artenreiche Steinriffe dokumentiert wurden. Sie würden durch die von den Niederlanden geplanten Gasförderungen in der Nordsee gefährdet. „GEMS“ heißt das Gasfördergebiet nahe der Ems, in dem das niederländische Unternehmen One-Dyas ein Vorkommen von bis zu 50 Milliarden Kubikmetern vermutet.
„Die Habitate vor Borkum sind teilweise in Deutschland und teilweise in den Niederlanden geschützt“, sagte Ittner. Daher sei der Schutzstatus für die Steinriff-Bereiche strittig. „In Deutschland gibt es kaum Widerstand gegen Gas, da es als Brücken-Technologie gilt“, betonte sie weiter. So werde in der Regierungserklärung von Stephan Weil vom November 2022 den fossilen Energien keine Absage erteilt.
„Die Inseln sind darauf angewiesen, dass sich die Umweltverbände an unsere Seite stellen, denn von den oberen Behörden kommt nichts“, kritisierten Gegner des Projekts in der Diskussion, die sich an den Vortrag anschloss. Sie wiesen auf die zahlreichen Gefahren der geplanten Erdgasgewinnung vor Borkum hin, einer Insel auf Sand: Unter anderem könnten Erdbeben und Bodenverflüssigung die Folge sein. Dadurch könnte die Süßwasserlinse in Mitleidenschaft gezogen und die Trinkwasser-Versorgung gefährdet werden. Bei der Diskussion wurde weiter betont, dass sich für den Meeresschutz vor allem Ehrenamtliche in ihrer Freizeit einsetzen – nicht aber die Behörden, die dafür zuständig sind.