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20. Juni 2024, 09:55 Uhr

Drama vor den Ostfriesischen Inseln: Der Untergang der „Excelsior“

25 Jahre war das Buch von Georg W. Kampfer über diese Tragödie vergriffen – jetzt ist es wieder zu haben

Lesedauer: ca. 3min 41sec
Drama vor den Ostfriesischen Inseln: Der Untergang der „Excelsior“

Norderney Es ist ein Stoff für eine Hollywood-Produktion oder eine Serie auf Netflix – allerdings im Genre Horror. Vor mehr als 25 Jahren hatte sich der Norderneyer Georg W. Kampfer der Thematik des Schicksals der „Excelsior“ angenommen, einem englischen Frachtschiff, das wöchentlich die Strecke von Hull nach Hamburg absolvierte und am 4. Februar 1866 vor Juist auf Grund lief.

Nach akribischer Recherche erschien in 1999 der mehr als 80 Seiten starke Bericht über die unglaublichen Geschehnisse an Bord. Entstanden ist eine maßlos spannende Tatsachendokumentation, die einem den Atem verschlägt. Differenziert und sachlich, dabei punktgenau zugespitzt, wird der Fall von vielen Seiten durchleuchtet und gibt neben der Darstellung der Lebensverhältnisse auch einen guten Einblick in die damalige Rechtsprechung. Jetzt gibt es eine Neuauflage des kleinen Bändchens, das für Menschen mit maritimem Interesse einfach unverzichtbar ist.

Kapitän William Newton hat es trotz telegrafischer Vorwarnung gewagt, vom mittelenglischen Hull nach Hamburg aufzubrechen. Mit an Bord des stabilen und schnellen Schiffes, das nicht nur über Segel, sondern zusätzlich über einen Antrieb per Dampfmaschine verfügte, waren insgesamt 16 Personen Besatzung plus die Frau des Kapitäns und eine Handvoll Passagiere. Der Sturm nahm immer mehr zu, aber mit dem achterlichen Westwind war das Schiff noch gut steuerbar. Die See jedoch wurde immer wilder und der Wind erreichte schließlich Orkanstärke. Erleichtert vernahm der Kapitän auf Steuerbord das Borkumer Leuchtfeuer. Kurze Zeit später schließlich raste der Rumpf mit mehr als 20 Stundenkilometern auf sandigen Grund vor der Insel Juist. Die See kochte und ein erster Passagier wurde von Bord gespült. Dann fiel ein Entschluss: „Der Kapitän erkennt, dass es nur noch einen Weg gibt, den Brechern zu entgehen: hinauf auf den vorderen Mast. Trotz Dunkelheit und Orkan versuchen die Schiffbrüchigen, am Mast heraufzuklettern, um Zuflucht auf den Rahen und in der Takelage zu suchen. Sechs englische und vier deutschstämmige Personen konnte sich auf den Mast retten. Die Frau des Kapitäns wurde kurzerhand festgebunden. Die Versuche, mit einem der Rettungsboote das Land zu erreichen, das in sichtbarer Nähe war, endeten tragisch.

Auch auf der Insel Juist bemerkte man die Katastrophe, vornehmlich, weil der Strand am nächsten Morgen übersäht mit Trümmern und Stückgut war. Zwei Männer entdecken wenige Stunden später die Ursache für den unerwarteten Segen: anderthalb Kilometer vor der Bill ist ein großes Dampfschiff auf Grund gelaufen und bereits weitgehend im Wasser verschwunden. Nur einige Aufbauten sowie Masten und Takelage ragen noch aus der aufgewühlten See. Der Juister Inselvogt Heinemann machte sich ein Bild von der Situation. Mit seinem Fernglas sieht er, dass es auf dem Wrack noch Überlebende gibt, die sich am Mast und in der Takelage festgebunden haben. Der Vogt kehrt in den Ort zurück, doch für den Einsatz des Ruderrettungsbootes ist es nun zu spät. Das Wrack liegt zu weit entfernt und der hohe Seegang ist für die Rettungsmänner zu gefährlich.

In den nächsten Tagen versuchen die Insulaner immer wieder, mit ihrem Rettungsboot zum Wrack zu gelangen, doch immer wieder scheitern sie. Sturm, Brandung, hoher Seegang, Untiefen, Ebbe und Flut, aber auch menschliche Unzulänglichkeiten führen dazu, dass alle ihre Bemühungen vergeblich bleiben. Rettungskräfte vom Festland können sie nicht anfordern, denn noch hat Juist keine Telegrafenstation.

Tag für Tag vergeht, ohne dass es eine Möglichkeit zur Rettung gibt. Eine Woche später wird es in einer Zeitung heißen: „...und so haben wir sechs Tage und sechs Nächte unter fortwährenden Todesqualen ausharren müssen. Am Donnerstagmorgen ist einer seinen Qualen erlegen und da hat man sich – wie verbürgt erzählt wird – dessen Fleisch geteilt, verzehrt und den Rest des Leichnams in Meer gelassen. Noch im Rettungsboot hat einer der Unglücklichen auf einem Stück Menschenfleisch gekaut.“

15 Überlebende werden nun vom Rettungsboot übernommen, zur Bill gebracht und mit Pferdefuhrwerken ins Dorf transportiert, wo sie auf die einzelnen Häuser aufgeteilt und versorgt werden. Zwei Ärzte kommen aus Norden, behandeln die Schiffbrüchigen und werden den Engländern später eine Rechnung vorlegen, die nach erfolgter Beschwerde von der zuständigen deutschen Behörde als „das Unverschämteste, was uns jemals vorgekommen ist“ bezeichnet wird.

Bereits einen Tag nach der Rettung der Schiffbrüchigen liegen rund 40 Fischerboote rund um das Wrack und bergen, was zu bergen ist. Der englische Konsul in Emden, der rechtmäßiger Besitzer des Wracks ist, muss Polizeischutz anfordern, um die Fischer vom Plündern abzuhalten. Da sich die ostfriesischen Fischer weigern, in seinem Auftrag und für ihn die Bergungsarbeiten fortzuführen, nimmt der Konsul mehrere Fischer von der Unterelbe unter Vertrag. Dabei kommt es zu einem folgenschweren Unglück, als ein überladenes Ruderboot mit 14 Fischern beim Wrack kentert und sinkt. Nur zwei Fischer können sich retten, zwölf ertrinken. Einer der ertrunkenen Fischer, der erst 16-jährige Hans Jacob Six, treibt einige Wochen später auf Norderney an, wo sein Grabstein noch heute an das dramatische Geschehen vor fast 160 Jahren erinnert.

Der Autor beschreibt weiter, was nach der Havarie geschah, was mit der Transportware geschah und was die Versicherungen sagten. Aber alles soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: es ging hoch her.

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