Erinnerung an Unvorstellbares
Rund 100 Menschen Gedenken in Dornum den Pogromen vor 85 Jahren
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Dornum An einer die Teilnehmer sehr bewegende Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag der schrecklichen, durch die damals regierenden Nationalsozialisten arrangierten Brandstiftungen der Synagogen in Deutschland und der Verschleppung und Ermordung vieler jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger nahmen am frühen Donnerstagabend knapp 100 Menschen, vorwiegend aus Dornum und Umgebung, am Mahnmal auf dem Dornumer Marktplatz teil. Eingeladen dazu der Verein „Gedenkstätte Synagoge Dornum“. Für ihren erkrankten Mann, Georg Murra-Regner, begrüßte seine Frau Margitta Regner die zumeist älteren Gäste. Nicht zu sehen waren Vertreter der Altersgruppen unter 40 Jahren.
Dornums Bürgermeister Uwe Trännapp (SPD) erinnerte in seinem Grußwort an die heute unvorstellbaren Ereignisse, die sich in der Nacht vom 9. auf den 10. November in ganz Deutschland, aber auch im ostfriesischen Dornum zugetragen hatten: „In dieser Nacht blieben auch die jüdischen Nachbarn in unserem Ort nicht verschont. Die Inneneinrichtung der zwei Tage vorher verkauften Synagoge, die Thorarollen, die Gebetbücher und die Gemeindebücher wurden am frühen Morgen des 10. Novembers unter Absingen von Parolen zum Marktplatz gebracht, dort aufgeschichtet und an diesem Platz, an dem wir uns jetzt versammelt haben, unter Beifallsrufen und Drohungen verbrannt. Die jüdischen Männer wurden in Viehgattern im Schlachthaus und in der jüdischen Schule eingesperrt und am nächsten Tag zusammen mit insgesamt rund zweitausend jüdischen Männern aus ganz Ostfriesland und dem Oldenburger Land nach Oldenburg transportiert. Zu dem Zeitpunkt waren schon die ersten Toten und Verletzten zu beklagen. Beklemmt fragen wir uns heute, wie konnte das alles geschehen? Warum sind nur so wenige dagegen aufgestanden und haben Einhalt geboten. Viele haben sich später oft diese Frage gestellt, fanden bis heute aber keine Antwort.“ Für die damalige Bevölkerung in Dornum muss das ganze Geschehen unfassbar gewesen sein, hatten doch fünf Söhne der jüdischen Gemeinde ihr Leben im ersten Weltkrieg für Kaiser und Vaterland gelassen. Bedrückende Stille herrschte als Christoph Kleen, Ursula Ott und Andrea Schütz-Boese die Namen der 36 von den Nazis ermordeten Mitbürger jüdischen Glaubens aus Dornum vorlasen. Während des Vorlesens der Namen wurden sechs Kerzen auf dem Magen David (Gedenkstätte auf dem Dornumer Marktplatz) angezündet.
Aus Platzgründen konnten lediglich etwa 50 Gäste in der Synagoge am Konzert anlässlich des Gedenkens an die Reichsprogromnacht teilnehmen. Dort überreichten Kai Nilson und Franz Scheid vom Steinhaus in Nesse dem Dornumer Verein „Gedenkstätte Synagoge Dornum“ eine Spende in Höhe von 470 Euro. „Das Geld haben wir bei einer Lesung zum Buch „Ich bin ohne Sinnen gestorben – Leben und Leid der Rosa Schillings“ von Gabriele Lübke in der letzten Woche eingesammelt.“ Rosa Schillings war die Großmutter der Autorin und fiel dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer. Sie wurde nur 42 Jahre alt. Danach hielten Dorfmoderatorin Anke Alfert und Klaus Gabbert vom Bürgerverein Dornum je einen Redebeitrag. „Lasst uns aufpassen, dass das, was damals passiert ist, nicht wieder geschehen wird. Wir müssen aufstehen gegen Barbarei, gegen Krieg und gegen Mord!“, sagte Anke Alfert unter anderem und für Klaus Gabbert ist der kaum vorstellbare brutale Überfall der Hamas am 7. Oktober dieses Jahres vergleichbar mit den Ereignissen vom 9. November 1938 in Deutschland.
Einfühlsame und dem Anlass angemessene Musikstücke trugen dann Sarah Köster (Cello) und Evgeny Nikiforov (Klavier) vor. Sarah Köster entstammt einer jüdischen Musikerfamilie und hat sich im Bereich der Kammermusik auf jüdische Musik spezialisiert. Evgeny Nikiforov stammt aus Russland, schloss sein Studium am Staatlichen Ural-Konservartorium „Mussorksky“ mit Auszeichnung ab und lebt jetzt in Berlin. Sie begannen in der Dornumer Synagoge mit einer Elegie in C-Moll für Violoncello und Klavier von Gabriel Faure, spielten danach Stücke von Joachim Stutschewsky, Jaques Offenbach und Johann Sebastian Bach und endeten mit dem Solo für Cello „Theme from Schindlers List“. Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung konnten alle gegenüber in der Ausstellung „Temporäre Art. Leerstand kunstvoll gestalten“ in den Räumen des ehemaligen Geschäfts Appelkamp bei Tee und kleinen Süßigkeiten den Abend ausklingen lassen.