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10. Februar 2024, 14:00 Uhr

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Fielmanns Aufstieg als Brillen-Gigant fand seinen Anfang in Ostfriesland

Die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte des Optikers Fielmann startet 1981 bei einer AOK in Ostfriesland. Es gab einen Sondervertrag, und der ebnete dem einst kleinen Unternehmen den Weg an die Spitze.

Lesedauer: ca. 3min 41sec
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„Guck mal, ist die nicht prima?“ Mit diesen Werbeslogans expandierte der Optiker Günther Fielmann in ganz Deutschland. © privat

Von Werner Jürgens

Esens hat den Brillenmarkt in Deutschland bekanntlich revolutioniert. Allerdings hat der in diesem Jahr verstorbene Optikermeister und Unternehmer Günther Fielmann das nicht im Alleingang geschafft. Den endgültigen Durchbruch bescherte ihm ein Sondervertrag, den er 1981 mit der AOK Esens abschloss.

Bismarck ermöglichte die erste „Kassenbrille“

Dank der Bismarckschen Sozialgesetze hatten ab 1884 in Deutschland zwar auch „Fehlsichtige“, die sich bis dahin keine Brille leisten konnten, einen Anspruch darauf. Das war die Geburtsstunde der kostenlosen Kassenbrille, der jedoch von Anfang an nicht unbedingt der beste Ruf anhaftete. Die Auswahl blieb lange Zeit sehr begrenzt. Obendrein waren die meisten dieser wenigen Modelle alles andere als schick. Wer nicht genug Geld hatte, musste trotzdem damit Vorlieb nehmen. Modischere Varianten oder Extra-Wünsche wie z.B. größere Gläser ließen sich die Optiker gut bezahlen und verdienten daran offensichtlich nicht schlecht. Das legt jedenfalls ein Bericht aus der Zeitschrift „Der Spiegel“ vom September 1981 nahe. Der nimmt Bezug auf eine im Herbst zuvor veröffentlichte Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen und fasst deren Ergebnisse wie folgt zusammen: „Durch rechtlich fragwürdige Preispraktiken sichern die Optiker sich Gewinnspannen, die sich nur auf einem Markt ohne Wettbewerb durchsetzen lassen. Die Analyse errechnet einen Durchschnittsgewinn von 109000 Mark pro Betrieb, obwohl täglich im Schnitt nur fünf bis sechs Brillen angefertigt werden.“ Nicht bloß die Kundschaft wurde kräftig zur Kasse gebeten. „Noch 1970 zahlten die Ortskassen 6,87 Mark pro Mitglied an die Optiker, 1979 waren es 34,34 Mark“, heißt es weiter in dem „Artikel. „Insgesamt schlug der Posten bei der AOK 1979 mit 565 Millionen Mark zu Buche.“

Optiker konnten Preise jährlich anpassen

Die Preissteigerungen waren eine Folge regelmäßiger alljährlicher „Anpassungen“, die von den Handwerksinnungen diktiert wurden und das wohl oft reichlich willkürlich. Diverse Anläufe, die Preise zumindest für ein Jahr einzufrieren, scheiterten. Selbst die AOK Niedersachsen biss laut dem „Spiegel“-Bericht wiederholt auf Granit. Ähnlich erging es der AOK in Esens. Die Optiker in der Region blockten deren Anfragen ebenfalls ab, indem sie auf ihre Innung verwiesen und dass ihnen die Hände gebunden seien. Einer scherte dann aber doch aus: Arthur Ise, seines Zeichens Franchise-Nehmer einer Wittmunder Fielmann-Filiale. Deren Namensgeber hatte 1972 sein erstes Geschäft in Cuxhaven eröffnet. Bei ihm gab es seit 1977 nicht die üblichen zwei, sondern drei Jahre Garantie. Außerdem waren seine Verkaufspreise an die Herstellungskosten gekoppelt. Rabatte von Großhändlern wurden mit eingerechnet. Dadurch waren Fielmann-Brillen deutlich günstiger als die vergleichbaren Modelle seiner Mitbewerber. Innerhalb der Branche sorgte das für mächtig Wirbel. Man warf Günther Fielmann „aggressives Marketing“ vor und versuchte, ihn mit Klagen auszubremsen. „Hätten die mich damals in Ruhe gelassen, hätte ich meine sechs, sieben Geschäfte behalten, und das wäre es gewesen“, hat der Unternehmer später rückblickend gesagt. Stattdessen ging er nun erst recht auf Expansionskurs und hatte sich bis 1980 ein Filialnetz mit rund 50 Niederlassungen aufgebaut.

Als die Esenser AOK wieder einmal Preisverhandlungen in Angriff nahm, schlug der Betreiber der Wittmunder Fielmann-Filiale Arthur Ise vor, seinen obersten Firmenchef in der Angelegenheit zu kontaktieren. Günther Fielmann reagierte prompt und kam nach Ostfriesland, um mit sich mit den Verantwortlichen der Krankenkasse zu treffen. Die waren ursprünglich lediglich an einem einjährigen Preisstopp interessiert. Das soll Günther Fielmann wortwörtlich als „lächerlich“ abgetan haben. Der von ihm vorgeschlagene neue Rahmenvertrag ging weit darüber hinaus. Er sah vor, dass Fielmann zum damaligen Kassenpreis von 38,50 Mark nicht wie bisher acht, sondern 90 Brillenfassungen aus Kunststoff und Metall in 640 Varianten zur Auswahl anbot. Für größere Gläser und Kunststoffgläser wurde kein Aufschlag verlangt. Und die Preise sollten bis 1985 stabil bleiben. Dass dieser Vertrag richtungsweisenden Charakter haben würde, lag auf der Hand oder in diesem Fall besser gesagt: auf der Nase. Als Günther Fielmann und der Esenser AOK-Chef Erwin Frey im September 1981 ihren „Deal“ unterzeichneten, wurde das zu einem großen Medienereignis, an dem auch der damalige Bundesarbeitsminister Dr. Herbert Ehrenberg teilnahm.

Juristische Schritte blieben erfolglos

Die Handwerksinnung betrachtete den „Sondervertrag“ zwar als unzulässig und drohte mit rechtlichen Schritten. Sämtliche Bemühungen ihn juristisch anzufechten scheiterten aber letztlich. Das ostfriesische Beispiel sollte schnell Schule machen. Einerseits zogen Großanbieter wie Quelle und Karstadt bald nach und offerierten zum Teil sogar noch mehr Modellvarianten als Fielmann zu ähnlich günstigen Konditionen. Andererseits gelang es der AOK Niedersachsen und weiteren Ortskrankenkassen plötzlich doch, „den Innungsverbänden der Augenoptiker in harten Verhandlungen einen Preisstopp abzupressen“, wie in dem bereits erwähnten „Spiegel“-Bericht nachzulesen steht. Der „eingefrorene Preis“ bescherte demnach allein der AOK in der zweiten Jahreshälfte 1981 eine Einsparung von „zehn Millionen Mark“. Zusätzlich erfreut war man über die Preisgarantie bis 1985. „Das haben wir noch nie gehabt“, zitierte der Bericht einen AOK-Vertreter. Günther Fielmanns unaufhaltsamer Aufstieg setzte sich unterdessen nahtlos fort. Spätestens mit seiner Aufsehen erregenden Werbekampagne unter dem Motto „...und mein Papi hat nicht einen Pfennig dazubezahlt...“ waren er und seine Filialen in ganz Deutschland in aller Munde. Nur hätte es auch diesen legendären Slogan vielleicht nie gegeben, wenn nicht zuvor in Ostfriesland der entsprechende Rahmenvertrag ausgehandelt und unterschrieben worden wäre.

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