Freispruch im Mordprozess Hage: Täter kommt in die Psychiatrie
Der Angeklagte wird trotz eindeutiger Beweise freigesprochen. In seinem kranken Zustand sieht er sich in Verbindung mit der Götterwelt. Nach seinen Angaben wurde er mehrfach in die Hölle geschickt, wo er unerträgliche Qualen leiden musste. Dabei hat er in der echten Welt selber Menschen verfolgt.
Lesedauer: ca. 3min 24secHage Der Angeklagte, dem die Staatsanwaltschaft Totschlag zur Last legte, hatte das Opfer kennengelernt, als er obdachlos war. Die Frau überließ ihm in ihrem Haus ein Zimmer, für das der 32-Jährige auch einen kleinen Obolus entrichtete. Man verstand sich gut und pflegte ein freundschaftliches Verhältnis. Selbst nachdem ihm sein Betreuer eine eigene Wohnung in Norden besorgt hatte, hielt der Angeklagte die Verbindung zu seinen Freunden in Hage aufrecht und besuchte seine wesentlich ältere Bekannte.
Rätsel um die Nacht – Täter ohne Erinnerung
Was dann am frühen Morgen des 21. Januar passierte, wird wohl nie endgültig geklärt werden können. Denn der Angeklagte erklärte, dass er sich an nichts erinnere. Er könne es auch nicht gewesen sein, weil eine solche Tat überhaupt nicht zu ihm passe. „Wir können aber das Tatgeschehen in Teilen rekonstruieren“, stellte Richter Björn Raap fest. Zu verdanken sei das vor allem der aufwändigen und akribischen Arbeit der Polizei, insbesondere der Spurensicherung.
Klar war, dass sich der Angeklagte am Tattag von Mitternacht bis um sieben Uhr morgens bei dem Opfer aufhielt. Das belegten Telefon- und Router-Auswertungen. „Das stimmt überein mit dem Zeitfenster des Todeszeitpunkts, das der Rechtsmediziner errechnet hat“, erklärte der Vorsitzende.
Keine Zweifel am Täter – Erdrückende Beweislast
Klar war zudem, dass der Angeklagte an der heftigen Auseinandersetzung beteiligt war, die zum Tod der Frau führte. Es wurde sein blutiger Fußballenabdruck neben der Leiche gefunden, der so eindeutig wie ein Fingerabdruck war. Unter einem Daumennagel und an der Hose des Opfers sowie am Tatmesser wurde seine DNA sichergestellt. Blut des Opfers entdeckten die Ermittler an einer Socke, die im ehemaligen Zimmer des Angeklagten hinterlassen wurde sowie an seiner Kleidung. Für das Gericht stellten dies in der Gesamtschau eine erdrückende Beweislast dar. „Wir können ohne jeden Zweifel ausschließen, dass jemand anderes die Tat begangen hat“, resümierte der Schwurgerichts-Vorsitzende.
Ratlos blieb man hinsichtlich der Frage, was der Auslöser der Tat war. Sicher war nicht nur für den psychiatrischen Sachverständigen, dass die psychische Erkrankung dafür verantwortlich war. Doch was im Kopf des Angeklagten bei der Tat vor sich ging, ist und bleibt undurchdringlich wie ein schwarzes Loch.
Opfer erleidet qualvollen Tod
Der Rechtsmediziner hatte bei der Obduktion der 65-jährigen Hagerin ein Verletzungsbild festgestellt, dass auf einen regelrechten Gewaltexzess schließen ließ. Der Täter hatte insgesamt elfmal auf das Opfer eingestochen. Tödlich war ein Stich nahe einem Auge, der die Mundhöhle durchdrang. Diese Verletzung führte zu erheblicher Blutung. Die Frau atmete ihr eigenes Blut ein und erstickte über einen Zeitraum von zehn bis 15 Minuten qualvoll. Doch auch nach Todeseintritt dauerte die Gewalt an. Davon zeugten Serienrippenbrüche auf beiden Seiten des Brustkorbes. Die Hagerin konnte aufgrund ihres kranken und schwachen körperlichen Zustands der Gewalt nichts entgegenzusetzen. „Sie hat versucht zu entkommen. Doch das wurde unterbunden“, war für Richter Raap klar. Die Tat, so fuhr der Vorsitzende fort, habe der Angeklagte im akut psychotischen Zustand begangen. „Es hat keinen vernünftigen Grund gegeben, sie zu töten“, zitierte Richter Raap aus der Einlassung des Angeklagten.
Seit 2019 ist der 32-Jährige an der paranoiden Schizophrenie erkrankt. In seinem kranken Zustand sieht er sich in Verbindung mit der Götterwelt. Nach seinen Angaben wurde er mehrfach in die Hölle geschickt, wo er unerträgliche Qualen leiden musste. Er fühlte sich beobachtet und verfolgt, verfolgte aber in der realen Welt selbst Menschen, die unter seinen Taten zu leiden hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vier Verfahren wegen Schuldunfähigkeit eingestellt, 2022 dann aber doch einen Antragsschrift zur Unterbringung verfasst, die nie verhandelt wurde. Zwischendurch war es immer wieder zu kurzen Klinikaufenthalten gekommen.
Vorsätzliche Tötung trotz Schuldunfähigkeit
Ende 2023 hatte der Angeklagte seine Medikamente, die die Krankheit eindämmen sollten, eigenmächtig abgesetzt. Die Tabletten machten ihm Angst. Aber ohne die Medikamente verschlimmerte sich sein Zustand, wie auch seine Freunde bemerkten. Alles mündete schließlich im grausamen Tod der Hagerin.
„Dass Sie aufgrund der Krankheit ohne Schuld handelten heißt nicht, dass Sie den Tod nicht herbeiführen wollten. Sie haben die Tötungshandlung vorsätzlich begangen“, hielt Richter Björn Raap dem Angeklagten vor Augen. „Dieses schreckliche Verbrechen bleibt wegen der Erkrankung ungesühnt.“
Gefahr für die Allgemeinheit
Aber der Angeklagte müsse in einer forensischen Klinik untergebracht und behandelt werden, „weil Sie in den Zustand, in dem Sie sich jetzt befinden, für die Allgemeinheit gefährlich sind“, erklärte der Vorsitzende. „Es wäre nicht vertretbar, Sie auf freiem Fuß zu lassen.“ Denn die Krankheit war auch während der medikamentösen Behandlung immer da, hatte der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert festgestellt. Deshalb bleibt der Hager weiterhin in einem psychiatrischen Krankenhaus.