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Erstellt:
3. Dezember 2023, 09:00 Uhr

Gymnasium in Norden begrüßt internationale Gäste

55 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Nationen zu Besuch am UGN

Lesedauer: ca. 3min 42sec
Gymnasium in Norden begrüßt internationale Gäste

Norden Geschichtslehrerin Petra Drüke, die die viertägige Veranstaltung federführend mit Schülerinnen und Schülern ihrer Arbeitsgemeinschaft ausgerichtet hatte, war am Ende kaputt – und gleichzeitig sehr erfreut: „Ich denke, dass die Gründer Abel und Yvette Farnoux sehr glücklich wären, wenn sie sähen, was sich aus ihrer Idee entwickelt hat.“ Am Norder Ulrichsgymnasium war jetzt ein Treffen des Relais de la Mémoire veranstaltet worden. Dabei waren 55 Schüler, Schülerinnen sowie Lehrerinnen und Lehrer aus drei europäischen Ländern gekommen: aus der Tschechischen Republik (aus Prag), aus Österreich (Wien), Frankreich (Marseilles, Paris und Vincennes). Das Ulrichsgymnasium Norden (UGN) war als einzige Schule aus Deutschland vertreten. Bei diesem Treffen behandelten die Schülerinnen und Schüler das Thema „Durch Krieg verursachte Veränderungen“.

Die Veranstaltungen des Relais haben immer einen ernsten Hintergrund – und verlaufen doch gleichzeitig so freundschaftlich, beinahe familiär. Gegründet worden war das Relais de la Mémoire (zu deutsch: Staffellauf der Erinnerung) 1989 in Frankreich von Überlebenden der Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Ihr Ziel war, die Geschichte des Holocausts an die folgenden Generationen weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass diese sich niemals wiederholt. Doch das Relais – wie die Lehrer und Schüler es nennen – ist alles andere, als nur einen Blick zurückzuwerfen. Gerade das macht es so spannend und interessant für die jungen Leute.

Nach einer Begrüßung in der Aula des UGN durch den Direktor der Schule, Wolfgang Grätz, und Geschichtslehrerin Petra Drüke lasen Schülerinnen und Schüler der Norder Arbeitsgemeinschaft des Relais Texte vor. Sie hatten sich dafür in Menschen hineinversetzt, deren Leben durch den Krieg verändert wurde. „Es war unglaublich emotional und berührend“, so Petra Drüke. Anschließend ging es in Kleingruppen weiter. Dabei diskutierten die jungen Menschen verschiedener Nationalitäten, ob Kriege neben vielen negativen Veränderungen vielleicht auch positive Aspekte haben können. Die Ergebnisse wurden auf Plakaten präsentiert. Anschließend zeigten die Schüler der verschiedenen Schulen – aus Prag waren zwei Schulen vertreten, ebenso aus Wien, dazu je eine Schule aus Marseille, Paris Vincennes und Norden – Arbeiten, die sie für das jeweilige Treffen vorbereitet haben. „Das ist immer besonders spannend“, sagt Petra Drüke. Die Themen reichten dieses Mal von aktuellen Fragen (zum Beispiel dem Nahostkonflikt) bis hin zu lokalen historischen Ereignissen (Geschichte der Tschechischen Republik bis heute).

Besonders bei den Treffen des Relais sind immer wieder die sogenannten Runden Tische. Dabei werden, soweit möglich, Zeitzeugen eingeladen. Dieses Mal konnten die Schülerinnen und Schüler Joachim Strybny aus Norden begrüßen, der das Buch geschrieben hatte „Wer fragt die Kinder?“. Darin berichtete er über seine Jugend in Schlesien unter dem Nationalsozialismus und der Gefahr der Manipulation junger Menschen durch Propaganda, die Flucht der Familie in den Westen und das Ankommen in Norden. Weitere Gäste der Runden Tische waren Adrian Mills (Übersetzer des Buches „Ich pflanzte einen Flieder für dich“). Er berichtete über das Schicksal der Auricher Jüdin Hannelore Wolff, eine der Schindler-Jüdinnen. Wiard Raveling berichtete darüber, dass er als junger Mann einen Briefwechsel mit dem jüdischen Philosophen Vladimir Jankélévitch begonnen hatte. Jankélévitch hatte zunächst allen Deutschen unversöhnlich gegenübergestanden. Daraus entwickelte sich das deutsch-französische Werk „Ist Versöhnung möglich?“. Dr. Jörg W. Rademacher, Lehrer am UGN, berichtete über seine Familie unter dem Schwerpunkt, was es für einen Deutschen bedeutet, die französische Sprache zu erlernen. Die ukrainische Schülerin Kseniia Kharytonova berichtete über das Leben und den Krieg in der Ukraine, ihre Flucht und ihr Leben in Norden und am UGN. Die Schülerin Mitra Bilal berichtete über das Leben ihrer Familie in Syrien vor dem Krieg, die Flucht nach Norden und die Probleme des „Ankommens“ in Deutschland.

Am zweiten Tag lernten die Schülerinnen und Schüler den jüdischen Friedhof Norden kennen. Lehrerin Petra Drüke, gleichzeitig auch stellvertretende Vorsitzende des Ökumenischen Arbeitskreises Synagogenweg, stellte die Besonderheiten vor. In der Schule wieder angekommen, setzten sich die jungen Menschen der vier Nationen in einem großen Kreis zusammen und redeten sehr engagiert über die Erinnerungsarbeit in den beteiligten Schulen und Staaten. „Das war wirklich sehr beeindruckend, zumal dieser Programmpunkt freiwillig war“, war Petra Drüke sehr angetan: „Es zeigt, dass die Teilnehmer des Relais nicht der ,Null-Bock-Generation‘ angehören.“ Es mache Mut für die Zukunft. Auch im weiteren Verlauf des Treffens beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit ernsten Themen, wie der Gefahr des zunehmenden Rechtsradikalismus in Europa, der Radikalisierung der Menschen in den sozialen Netzen, der Rolle der Frau und weiteren Themen. Auch lernten die Teilnehmer bei einem Rundgang durch die Stadt das „Jüdische Norden“ kennen. Außerdem stellten ihnen die Gastgeber bei einem Spaziergang den Strand von Norddeich vor.

Durch die Unterbringung in den Familien kommt bei den Treffen der AG des Relais auch das entspannte Aufeinandertreffen nicht zu kurz. Petra Drüke empfindet es so, dass die jungen Leute gleichzeitig begeistert, enthusiastisch und eine Ernsthaftigkeit hätten. Ihr Fazit nach den vier Tagen lautet: „Wenn ich diese Jugendlichen sehe, die sich so tiefgründig mit der Geschichte, aber auch mit politischen Fragen auseinandersetzen, die dabei gleichzeitig vorurteilsfrei aufeinander zugehen und bei allem was sie tun, gemeinsam Spaß haben, sehe ich trotz aller Probleme optimistisch in die Zukunft.“

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