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5. Juni 2024, 12:39 Uhr

Mutter getötet, weil sie Brief nicht vorlas: Urteil gefallen

Kein Wort der Reue, kein Erklärungsversuch – 61-Jähriger erhält lange Haftstrafe

Lesedauer: ca. 2min 54sec
Die Höchststrafe ging am verurteilten 61-Jährigen vorbei, trotzdem muss er für lange Zeit ins Gefängnis. Foto: dpa

Die Höchststrafe ging am verurteilten 61-Jährigen vorbei, trotzdem muss er für lange Zeit ins Gefängnis. Foto: dpa ©

Aurich Der 61-jährige Angeklagte aus Weener, der am 25. November des vergangenen Jahres seine 87-jährige Mutter erstickt hat, wurde vom Landgericht Aurich wegen heimtückischen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Von einer lebenslangen Freiheitsstrafe wurde abgesehen, weil der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung nur vermindert schuldfähig war.

Ein Blick in

menschliche Abgründe

„Ein Prozess vor dem Schwurgericht bringt es mit sich, dass man immer wieder in menschliche Abgründe blickt“, begann Erster Staatsanwalt Frank Lohmann sein Plädoyer. In diesem Fall waren die Abgründe bis zum Schluss sichtbar.

„Sie sind jetzt ein verurteilter Mörder“, versuchte Richter Björn Raap dem Angeklagten ins Bewusstsein zu heben, welch schreckliche Tat er begangen hat. Aber der 61-Jährige blieb gleichmütig. Er hatte sogar ein Lächeln auf dem Gesicht, als er nach dem Verhandlungstag im Rollstuhl zum Transport in die Justizvollzugsanstalt über den Gerichtshof geschoben wurde. Auch in seinem letzten Wort gab es kein Wort des Bedauerns oder der Reue. Keine Silbe galt der getöteten Mutter. Stattdessen bedankte sich der Weeneraner bei seinem Verteidiger und beim Gericht dafür, dass er immer zum Prozess gefahren und ihm ein Hörgerät zur Verfügung gestellt worden war.

Diese Fokussierung auf das eigene Ich hatte auch die letzte Phase seines Zusammenlebens mit der Mutter bestimmt. Der fast blinde und taube Mann hatte sich darüber beklagt, dass sie für ihn kein Essen machte und er mit einem Apfel als Mahlzeit vorliebnehmen musste. Sein Vorwurf lautete, dass sie sich nicht mehr um seine Angelegenheiten kümmerte, dass sie eine gerichtliche Zahlungsaufforderung über 209 Euro einfach beiseitelegte und ihm das Schreiben nicht vorlas. Dabei hätte die Summe ohne Probleme bezahlt werden können, trug der Staatsanwalt vor. Auf Konten und Sparbüchern des Angeklagten und seiner Mutter war genügend Geld vorhanden. Seine Mutter hatte sogar – vermutlich ohne Wissen des Sohnes – 15000 Euro Bargeld in einer Schatulle im Schlafzimmer gelagert. Eine noch höhere Summe befand sich in einem Bankschließfach.

Was ihn überhaupt nicht berührte, war die Tatsache, dass seine 87-jährige Mutter immer gebrechlicher wurde und den Alltag einfach nicht mehr bewältigen konnte. Sie bat deshalb ihre Schwägerin um Hilfe, die dann eine Haushaltshilfe organisierte. Der Angeklagte aber reagierte nicht mit Dankbarkeit, sondern mit Misstrauen.

„Die Forderung von 209 Euro war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, stellte Richter Björn Raap fest. Der Angeklagte entschloss sich, seine Mutter zu töten, und setzte diese Absicht auf brutale Weise um. Am Abend des 25. November hatte sie nach Überzeugung des Gerichts bereits geschlafen, als der Angeklagte in ihr Zimmer ging und ihr ein Kissen auf das Gesicht drückte. Die alte Frau wehrte sich so gut sie es konnte. Da setzte sich der Angeklagte auf ihren Brustkorb, fixierte ihre Arme mit seinen Beinen und drückte weiter zu. „Es war ein mehrere Minuten dauernder Todeskampf“, betonte der Vorsitzende. Der Staatsanwalt sprach von einem „grausamen Tod“.

Angeklagter rief selbst

die Polizei

Als seine Mutter kein Lebenszeichen mehr von sich gab, wählte der Angeklagte den Notruf und sagte der Polizei ganz offen, dass er gerade seine Mutter umgebracht habe. „Die Motivation ist von außen kaum nachvollziehbar“, waren sich alle Prozessbeteiligten einig. Nur der psychiatrische Sachverständige Wolfgang Trabert war in der Lage, die innere Motivation des Angeklagten zu erklären. Der 61-Jährige habe eine „aufgeblähte, existenzielle Angst“ davor gehabt, obdachlos zu werden. Diese Angst hatte schon fast paranoide Züge und war gepaart mit einer depressiven Phase. Deshalb sei seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit auch erheblich eingeschränkt gewesen.

Vom Angeklagten kam bis zum Schluss kein nachvollziehbarer Erklärungsversuch. Richter Raap konstatierte: „Der Abgrund bleibt bestehen“.

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