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21. Februar 2024, 07:00 Uhr

Nach dem Tod des Putin-Kritikers Alexej Nawalny: „Poesie muss das Wort ergreifen“

Der gebürtige Theener Johann Voß thematisiert die schlimme Situation der Menschen in der russischen Autokratie

Lesedauer: ca. 2min 20sec
„Ich schreibe gegen die Uniformierung von Leib und Seele“, sagt Johann Voß. Foto: Werner Jürgens

„Ich schreibe gegen die Uniformierung von Leib und Seele“, sagt Johann Voß. Foto: Werner Jürgens ©

Der aus Ostfriesland stammende mehrfach preisgekrönte Lyriker und Musiker Johann Voß sorgt derzeit auch in den sozialen Medien wieder mit einem seiner Gedichte für Aufsehen. Darin drückt er seine Betroffenheit über den Tod des russischen Regimekritiker Alexej Nawalny aus. Gleichzeitig solidarisiert er sich mit jenen Menschen, die von Putins Schergen niedergeknüppelt und verhaftet werden, nur weil sei aus Trauer um den Verstorbenen Rosen niederlegen.

Voß stammt aus einfachen Verhältnissen

Johann Voß stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Geboren wurde er 1951 in Theene. Die Mutter, die sich als bäuerliche Magd verdingte, musste die Familie phasenweise mit Tagelöhner-Tätigkeiten allein über die Runden bringen.

Der Vater war Hilfsarbeiter in einer Böttcherei und erst nach längerer Kriegsgefangenschaft 1949 aus Russland zurückgekehrt. „Er hat zwar überlebt, war aber ein gebrochener Mann mit einem TBC- Loch in der rechten Lunge“, erzählt Voß. „Doch weil er zurückkam, existiere ich. Und deswegen schreibe ich seit meiner Kindheit Gedichte gegen die Uniformierung von Leib und Seele.“ Viele Werke des Lyrikers sind untrennbar mit seinem politischen Engagement verbunden. So traf er sich wiederholt mit ehemaligen KZ-Häftlingen und verarbeitete seine Eindrücke in seinen Gedichten.

Regelmäßig unterstützt er mit unentgeltlichen Lesungen und Konzerten demokratische Aktionen und Institutionen wie zum Beispiel die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, Fridays For Future oder Deutsch-Ukrainische Friedensinitiativen. Für seinen Einsatz gegen Kriegstreiberei und Rassismus erhielt Johann Voß diverse Auszeichnungen, darunter den Förderpreis der Schweizer Literaturzeitschrift „Orte“, den Lyrikpreis der Münchener Bibliothek deutschsprachiger Gedichte und ein Stipendium des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Die Inhaftierung und mutmaßliche Tötung von Oppositionellen in Russland offenbart für den Lyriker „Putins schreckliches und verbrecherisches System, das über Leichen geht“, so Johann Voß in einem Statement zu seinem aktuellen Gedicht. „Ich denke da nicht zuletzt auch an Anna Politkowskaja, die als aufrichtige Journalistin quasi vor ihrem Büro hingerichtet wurde. Solche Politiker und entsprechende menschenverachtende Systeme habe ich schon oft in meinen Gedichten thematisiert, beispielsweise das Regime von Pinochet sowie das Massaker der chinesischen Volksarmee auf dem ‚Platz des himmlischen Friedens‘ in Peking.“

Verweis aufTheodor W. Adorno

Auch der Frage, was ein Gedicht angesichts solcher Unmenschlichkeit überhaupt zu bewirken mag, stellt sich Johann Voß in dem Statement mit einem Verweis auf den Philosophen Theodor W. Adorno, der einst zweifelte, ob nach Auschwitz noch Poesie möglich sei. „Ich sage insbesondere nach den Begegnungen mit Auschwitz-Überlebenden, dass Poesie mit Blick auf mögliche Wiederholungen menschenfeindlicher Systeme das Wort ergreifen muss“, betont Johann Voß. „Für individuelle Freiheit, für Demokratie und ein wahres und warmes Miteinander.“

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